7 6 . r N x i n a H Charakter vor. Es ist die Gegenspielerin des Käthchens, Kunigunde von Thurneck. Sie ist genau das, was wir von einer mod- ernen Frau erwarten. Kunigunde gelingt es, eine Menge Ritter dazu zu bewegen, sich ihrer Sache kämpferisch, unter Einsatz von deren Leben, anzunehmen. Es geht ihr darum, dass sie vom Grafen vom Strahl ein paar einträgliche Immobilien, 3 Städte, 17 Dörfer, also die Herrschaft Stauffen, zurückzukaufen bestrebt ist. Da der Graf davon nichts wissen will, lässt sie die Ritter für sie kämpfen. Kunigunde weiß, was sie will und wie sie es bekommt. Ihr Wille ist so gesetzt, dass sie, als der Graf sie zu heiraten beabsichtigt und ihr die gewünschten Güter als Zeichen seiner wohlwollenden Großmut überschreibt, diese besiegelte Überschrei- bung in einem Bild-Futteral misstrauisch versteckt – Ehevertrag würden wir das heute nennen. Und als das Schriftstück durch einen Brand bedroht wird, lässt Kunigunde unter falschem Vorwand jenes Futteral von Käthchen unter Lebensgefahr aus einem brennenden Haus retten. Selbstverständlich gehört zur Vorstel- lung einer willensstarken Frau die Beherr- schung ihrer Gefühle. Auch damit kann Kunigunde dienen: »Ich will (Kursivierung im Original), dass dem Gefühl, das mir ent- flammt … nichts fürder widerspreche. Ich will, die Scheidewand soll niedersinken, die zwischen mir und meinem Retter steht!« Sie will – sie entscheidet sich bewusst! – ihren Retter (Graf vom Strahl, ihrem Widersach- ern bis dahin) nun lieben. Sie unterwirft ihr Gefühl ihrem Willen. Alles hat seinen Sinn, eine Ordnung gemäß ihrem Willen: Güter, Ehre, Leben, Schutz, alles Dinge, die einer bewussten Zielorientierung wert und für uns nachvollziehbar sind. Käthchen hat nichts davon. Natürlich weiß Kunigunde auch ihr Aussehen entsprechend zu präsentieren mit Produkten internationaler Provenienz: »Ihre Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben, ihrer Wangen Gesundheit kommt aus den Bergwerken in Ungarn, und den Wuchs, den ihr an ihr bewundert, hat sie einem Hemde zu danken, das ihr der Schmied, aus schwedischem Eisen, verfer- tigt hat.« – Kunigunde ist eine entschieden gesetzte Zeichencollage, deren Selbst sich zeigt in der Rationalität ihrer abgezweckten Inszenierung. Käthchen tippelt unterdessen barfuß ihrem selbsterkorenen Herrn, dem Grafen vom Strahl, ergebenst hinterher. In Kunigunde hätten wir das moderne Frauen- bild einer starken Frauenrechtlerin, die Männer für sich sterben lässt. Warum nur hat Kleist diese selbstbewusste Stilikone nicht zur Hauptperson erkoren? Anders gefragt: Was bedeutet Kleist das Käthchen, dass er sie zur Heldin macht? ›Das Käthchen von Heilbronn‹ ist mit- nichten ein altbackenes, romantisch- deutschtümelndes Märchen von einem er- gebenen Aschenbrödel-Mädchen, das sich später wunderbarerweise als des Kaisers uneheliche Tochter erweist, um so ihren angebeteten ›Prinzen‹ doch noch standes- gemäß heiraten zu können. Käthchen ist eine Getriebene in einer verrückten Welt. Sie hat einen Traum von einem Geliebten, der Erfüllung ihres Lebens, und sie baut so sehr auf diesen Traum, dass sie – von außen betrachtet – wie eine Wahnsinnige ist. An- ders gesehen ist sie allerdings ein äußerst hartnäckiger und konsequenter Charakter: Käthchen tut, was sie tun muss. Das führt beispielsweise eingangs dazu, dass sie sich beim Vehmgericht den Richtern gegenüber gleich einmal danebenbenimmt. Nicht die Richter will sie anerkennen, sondern allein ihren Geliebten, nur dieser dürfe über sie urteilen. Dabei ist sie kein Punk, keine kalkulierte Revolutionärin. Sie ist noch nicht einmal davon überzeugt, das Richtige zu tun. Sie tut, was sie tut, ohne Idee vom Wie und Warum. Sie hat keinen bewussten Zweck. Deshalb ist sie schön und anmutig, weil sie nicht weiß, was sie bewegt. Sie folgt einfach und allein ihrem Traum. Träume haben freilich den Nachteil, dass sie, vage wie sie sind, nicht in Kongru- enz stehen mit der Welt, in der sie geträumt werden. Diese Diskrepanz ist zentral für das Bühnen-Stück. Es gibt keine Sprache, keine Handlung, die hinreichend wäre, dem Außen angemessen darzulegen, was im Innern vor sich geht; deswegen wird Käthchen als irre, hündisch ergeben, unter Drogen gesetzt, verhext rationalisiert. Im- mer wieder legt Kleist in seinem Stück dar, dass Sprache generell ein äußerst krum- mes Werkzeug ist, denn die Worte wollen nicht übereinstimmen mit dem, worauf sie verweisen; weswegen sich Kleist sehr häufig lustig macht über diese Form der Kommunikation. Jedenfalls ist der Traum als innere An- triebskraft für die eigene Lebensgestaltung und die Aufdeckung der Geheimnisse in der Welt für Kleists Stück zentral. So träumt – parallel zu Käthchen – auch ihr Geliebter, Graf vom Strahl, von seiner Liebe, welche, so der Traum, die Tochter des Kaisers sein soll. Und als er erkennt, dass sein Traum die wahre Wirklichkeit, d.h. Käthchen seine ihm bestimmte, wahre Liebe ist, erkennt er auch, dass sie deswegen die Tochter des Kaisers sein muss. In seinem Traum war nämlich seine Geliebte die Tochter des Kaisers. Erst als der Graf die Gewissheit von der Wahrheit seines Traums gewonnen hat, insistiert er vor dem Kaiser, dass die- ser seine geheime Vaterschaft offenlegen solle. Es geschieht also nicht einfach, dass es sich erweist – immer diese Passiv- und Passiv-Ersatz-Konstruktionen heute! –, sondern Graf vom Strahl nötigt den Kaiser aktiv im Bewusstsein der Wahrheit seines Traumes. Für Kleist hebt sich zum guten Schluss die Differenz von Traum und Wirklichkeit, die Diskrepanz von Zeichen und Bezeich- netem auf im gelebten Traum, in der er- füllten Liebe – das ist dann das Märchen- hafte am Stück; das weiß auch Kleist; was nicht heißt, dass nicht auch Märchen wahr werden können – allerdings wohl leider nie für lang – wir träumen halt weiter und nie immer dasselbe. Das Käthchen ist ein Drama von mo- derner Aktualität. Es handelt über die Macht des Traumes als unbewusste Basis der Lebensgestaltung, die, weil wir den Traum nur bruchstückhaft kennen und auch wohl oft falsch interpretieren, äußerlich mehr oder weniger zufällig und konfliktreich erscheint. Nichts Anderes finden wir je- doch in der Psychoanalyse, in den vor allem surrealistisch angeleiteten Künsten und bis heute in der Filmindustrie. Und es ist beachtlich, dass Kleist diese moderne Form des Lebensentwurfs aus dem Traum heraus einer Frau zuschreibt. Vom Theater würde ich mir nun ein sprachlich heiteres Stück wünschen, dass uns am Käthchen zeigte, wieso behauptet werden kann, dass Theater die ›Bretter sind, die die Welt bedeuten‹; was Theater mit der Wirklichkeit zu tun hat, und warum es nicht nur ein unterhaltsamer Traum, eine schillernde Kunstwelt am Abend sein soll. Tja und das Marketing? Ein solcher, bloß von innen unbewusst bestimmter Charakter, wie es das Käthchen ist, steht im Wider- spruch zu den Funktionsweisen des Market- ings: Dieser Lebensentwurf kann in seiner traumwandlerischen Unzugänglichkeit gar nicht Muster oder Adressat kalkulierenden, zweckrationalen Handelns (das Handeln, der Handel) sein. Zudem kommt, dass die Diskrepanz von Zeichen und Bezeichnetem nicht Grundlage des Marketings sein darf. Was wäre denn das für ein Marketing, das voraussetzen würde, dass die Dinge, die angekündigt werden, gar nicht so sind, wie sie angekündigt werden? ◆ LEBEN AUS DEM TRAUM 49