Meine Mutter suchte daraufhin meine Arme nach Einstichlöchern ab, aus Angst, dass ich »hasche«. Die darauffolgende Erklärung, ich würde das Haschisch längst an den Füßen spritzen, da die Arme schon »durch« wären, war nicht im Ansatz dienlich. Das Lebensmotto wurde immer mehr von Weltschmerz geprägt, mein erster Freund tendierte Richtung ›Grufti‹, was, in unserer symbiotischen Daseinsform, eine feine, melodramatische Mischung war und so litten wir fortan gemeinsam sehr offensiv vor uns hin. Lächeln und Frohsinn waren strengstens untersagt, zumindest so lange die Alten um uns waren. Die sollten doch alle sehen, was sie aus uns gemacht hatten. Müssen sie jetzt mit klar kommen, dass wir so fehl in dieser Welt sind. Wir fühlten uns außerordentlich erfahren und sehr erwachsen, aber wollten es trotzdem nie werden. Beim Erwachsenwerden wird man nämlich automatisch Spießer und hoch- gradig kommerz- und konsumorientiert. Inklusive Eiche rustikal, Wohnlandschaft, Boxspringbett und Gästepantoffeln. Das galt es zu vermeiden! Das Kinderzimmer wurde mit Kufiyas (auch Pali-Tücher genannt - kein politisches Statement, sondern einfach Deko) in eine dunkle Höhle verwandelt, in der es recht penetrant nach Patchouli roch. Geschlafen und gelebt wurde fortan auf einer Matratze ohne Bettgestell, das tat man so. Als einzige Beleuchtung dienten Tropfkerzen, die sich so herrlich über die 1,5 Liter-Lambrusco-Flaschen ergossen, eine Lavalampe und der Doppeldeck-Kassetten- rekorder im Dauerbetrieb. Meine Nächte verbrachte ich damit, aus dem Radio Lie- der auf ›Tapes‹ aufzunehmen - ich weiß noch heute die Tastenkombination auf dem Gerät. Supergau, wenn der Moderator ins Lied laberte! Meine Eltern verstanden so ziemlich gar nichts. Warum die neuen Jeans zerrissen und mit Domestos in der Badewanne gefärbt wurden, warum die neuen Chucks erstmal durch den Dreck gezogen gehörten und un- möglich neu getragen werden konnten. Sie regten sich auf über »cool« und »geil«. Oma, geboren 1907, der es davon leicht plümerant wurde, erklärte mir, dass höchstens Speck »geil« sein könne und ihr nicht zugänglich wäre, wie dieses Wort anderweitig so per- manent im Sprachgebrauch sein konnte. Mein Kurzreferat über den Superlativ »ober- affentittengeil« löste bei ihr nichts ausser verständnislosem Kopfschütteln aus. Heute erlebe ich diese Situationen wie- der, nun habe ich die Rolle der Unverständi- gen eingenommen. »Chillaxx, Mama!«, ist dann die Empfehlung meiner Ableger und 9 6 . r N x i n a H dass ich mal nicht so »flexen« soll, mit all meiner angeblichen Lebensweisheit. Die ›Jugend von heute‹, die nun in mei- nem direkten Einzugsbereich hausiert, führt im Prinzip eine formidable Neuinszenierung meines Dramas auf. History repeating. Das richtig Dumme daran ist, dass ich VIEL zu offen bin, meine Ableger daher die meis- ten Schwanks meiner Jugend kennen und dank ihrer Augen im Kopf sehen, dass ich noch immer gepierct und tätowiert bin. Es gibt nicht viel, was ich ihnen verbieten könnte, zumindest nicht ohne hinkende Begründung. Heute weiß ich ja, dass ich kein Punk war, eher so eine Bonsai-Version für letztlich dann doch System-Mitläufer, aber im Herzen und in meiner Vorstellung bleib ich ein Rebell. Ob ich damit ein gutes Vorbild für meine Brut bin ist fraglich, und wird sich erst später in vollem Ausmaß zeigen. Bisher klappt es. »So lang du deine Füße unter meinen Tisch...« versuche ich zu vermeiden, bzw. umzuformulieren, was aber nicht immer in vollem Umfang gelingt. Kürzlich erklärte ich meiner Tochter, dass »Das ist eben so und das bleibt auch so, ich versteh' aber echt, dass dich das abfuckt« eine deutliche Verbesserung zum damaligen »Darum! Nein bleibt Nein« ist und sie sich daher damit abfinden und auch ein bisschen glücklich schätzen darf. Sie hat so dolle mit den Augen gerollt, dass ich Angst bekam, sie könnten so stehen bleiben. Also erkenne ich nun, dass meine Ju- gend in der Vergangenheit liegt und ich diese besondere Zeit meiner Brut überlassen muss. Mit großer Hingabe rate ich ihnen, diesen Abschnitt richtig hart zu feiern, al- les zu machen, was getan werden muss, aufzubegehren, laut zu sein, wach zu bleiben bis sich der Himmel lila färbt, zu leben, als gäb es kein Morgen, solange kein Anderer Schaden daran nimmt. Mit ähnlicher Hin- gabe bereue ich das immer spätestens dann, wenn ich nachts wachliege, aus Sorge um sie und mich frage, wo und in was sie grad stecken. Und dann denke ich an meine Mama und schicke ihr Liebe in den Himmel, denn jetzt weiß ich mehr als damals. Jetzt verstehe ich. Und meine Kinder werden es auch erst erkennen, wenn sie in der nächsten Lebens- runde mitfahren, dolle die Augen rollen und denken »Oh man, die Jugend von heute...«. Wenn sie dann chillaxed genug sind, diesen Moment mit mir zu teilen, wird das sicher oberaffentittengeil. Ich schwör! ◆ 03. OKTOBER 2020 GROSSES HAUS ENDSPIEL SCHAUSPIEL VON SAMUEL BECKETT 07. NOVEMBER 2020 GROSSES HAUS DER RÄUBER HOTZENPLOTZ MÄRCHEN AB 5 JAHREN VON OTFRIED PREUSSLER 10. OKTOBER 2020 GROSSES HAUS BORN TO BE WILD? (UA) MUSIKALISCHE REVUE VON KAI TIETJE UND STEFAN HUBER 14. NOVEMBER 2020 KOMÖDIENHAUS HOW TO DATE A FEMINIST KOMÖDIE VON SAMANTHA ELLIS 21. NOVEMBER 2020 GROSSES HAUS MEIN FREUND HARVEY KOMÖDIE VON MARY CHASE KARTEN: 07131.56 30 01 · WWW.THEATER-HEILBRONN.DE FOLGE 3 31