DAS NEUE BUCH von Bestsellerautor & Ex-Titanic-Chefredakteur Oliver Maria Schmitt Hier online bestellen: shop.hanix-magazin.de e l n h ü K a l l U n o v n e i f a r g o t o F t i m n e t i e S 8 8 1 o r u E - , 0 2 »Abgedreht, schräg, politisch super unkorrekt und brüllend komisch.« Der Tagesspiegel über Oliver Maria Schmitt

IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER HANIX MEDIA Marcel Kantimm Werderstraße 138 74074 Heilbronn USt.-ID: DE 329355800 Vertreten durch: Marcel Kantimm CHEFREDAKTEUR Dr. Bernhard Stumpfhaus (V.i.S.d.P.) AUTOREN*INNEB/REDAKTIONELLE MITARBEITER*INNEN AK Wohnen, Susanne Bay, Herbert Burkhardt, Maike Endresz, Hannes Finkbeiner, Brigitte Fritz-Kador, Annette Geisler, Gunter Haug, Rainer Hinderer, Maria Maroge, Franz-Josef Mattes, Joo Peter, Thomas Randecker, David Sansi, Oliver Maria Schmitt, Rudolf Seitenstecher, Hartmut Seitz-Bay, Kathrin Stärk, Konrad Wanner, Leonore Welzin, Annette Wenk Nico Weinmann FOTOGRAFEN*INNEN/ILLUSTRATOREN*INNEN Albert-Schweitzer-Kinderdorf, Aufbaugilde Heilbronn, BMP, Maike Endresz, Gunter Haug, Thorsten Heinzelmann, Rainer Hinderer, Kolping Bildungszentrum, Ulla Kühnle, Nico Kurth, Hans-Jürgen Luderer, Maria Maroge, Franz-Josef Mattes, Joel Miller Micah, Jürgen Patzelt, David Sansi, Rudolf Seitenstecher, Stadtarchiv Heilbronn, Shuji Terayama ARTDIREKTION & GRAFIK DESIGN Raimar Schurmann ASSISTENZ SATZ Florian Geiger LEKTORAT Marcel Kantimm & Dr. Bernhard Stumpfhaus VERMARKTUNG & SALES Maike Endresz (verantw.) VERLAGSKOORDINATION / ADMINISTRATION / SOCIAL MEDIA Maike Endresz & Marcel Kantimm DRUCK Druckerei Ziegler GmbH & Co. KG Auwiesen 1 74924 Neckarbischofsheim VERTRIEB Auslage an ca. 800 Stellen im Großraum Heilbronn Abonnement (abo@hanix-magazin.de) KONTAKTE Redaktion: chefredaktion@hanix-magazin.de Vermarktung: maike.endresz@hanix-magazin.de mobil: 0151-626 53 996 Geschäftsführung: marcel.kantimm@hanix-magazin.de mobil: 0160-975 803 87 Die Meinungsäußerungen in diesem Magazin liegen in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Autoren und geben nicht zwingend die Meinung des Verlages und der Redaktion wieder. COPYRIGHT 2020 Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Magazins darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form, gleich welcher Art, reproduziert werden. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. TIPPS FÜR HN UND DIE REGION S. 8 Eine Auswahl an Angeboten für Dezember und Januar STREIFZUG DURCH DIE REGION S. 12 Das Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg S. 13 Martin Ric und Matthias Eckert, Gründer und Inhaber performa möbel und design gmbh S. 14 NOTIZEN AUS DER PROVINZ Die Gunter-Haug-Kolumne Es werde Licht! LIFESTYLE S. 16 Über den individuellen Mix schön zu leben 0 7 . r N x i n a H ABENTEUER UM DIE ECKE S. 18 Kunstkurs in Pfaffenhofen S. 20 GESELLSCHAFT-WOHNEN Franz-Josef Mattes hat Mut zur Zukunft. Ein Plädoyer zur Verdichtung der Innenstadt S. 22 Hannes Finkbeiner fordert, der Schrumpfkurs im sozialen Wohnungsbau müsse aufhören S. 24 Hartmut Seitz-Bay beschreibt den langen Weg von der Anstalt zum assistierten Wohnen 4 INHALT

DAS JAHR 2020 So beschreiben wir das fast vergangene Jahr. Es folgten zuerst die Absagen all unserer geplanten Veran- Unser Herzblut hat regelrecht geblubbert, als wir uns an die erste Ausgabe mit unserem neuen und sehr wunderbaren Chefredakteur Dr. Bernhard Stumpfhaus gemacht haben. Und dann kam, was uns alle zu Maskenträgern gemacht hat und auch uns erstmal hart ausbremste. staltungen – und wir hatten VIEL mit Euch vor. Anzeigenverkauf in Krisenzeiten? Unsere Hauptfinanzquelle verlor, wie es zu erwarten war, ebenfalls an Lebendigkeit. Unsere treuen Kunden behielten in ihrer Präsentation bei uns aber ihren Mut und Glanz und vor allem ihre Liebe zu uns. Kraft haben sie uns damit verliehen. Und wir haben halt weiter gemacht. Für sie. Für Euch. Und WEGEN Euch. Weil wir immer noch gespürt haben, dass ihr uns wollt, dass ihr treue Seelen seid und Euch das, was unsere wundervollen freien Mitarbeiter für Euch schreiben, erdenken, erarbeiten und tun, wichtig und wertvoll ist. Wir haben uns nun eingelebt, eingegroovt und richtig schön zusammengefunden in der neuen Konstellation und sind ziem- lich stolz auf das, was wir, trotz allen Widrigkeiten, zusammen gerockt haben und sind zu einem neuen, zufriedenen Team verschmolzen. Und nun? Es sieht schon wieder recht düster aus am Hori- zont, aber wir wollen auf der bunten Seite bleiben. Dafür geben wir Alles! Das kommende Jahr wird sicher für alle spannend bleiben, denn wer kann schon vorhersehen, was uns Menschen da alles blüht? Sobald es uns möglich ist, wollen wir wieder mit Euch feiern, wie genau das aussehen kann, wird sich noch zeigen. Wir wollen Euch weiterhin zeigen, was in der Heilbronner Region möglich ist, passiert und schlummert. Menschen und Dinge auftun, die Impulse setzen und uns inspirieren, hinterfragen, nachdenken und dazu anregen, hinschauen, diskutieren, lernen und wachsen. Für unsere Region. Für unser Magazin. Für Euch! Unser Dank in 2020 gilt: Euch, unseren weltbesten Lesern!!! Unseren wundervollen Mitwirkenden: Alice Schmöger, An- dreas Boy, Annette Geisler, Dr. Bernhard Stumpfhaus, Brigitte Fritz-Kador, Dominik Schweizer, Gunter Haug, Katja Billik, Katrin Leisterer-Miskovic, Katrin Stärk, Leonore Welzin, Lilja von Mannstein, Lisa Maria Klotz, Maike Endresz, Marcel Kantimm, Maria Maroge, Matthias Marquart, Meli Dikta, Natalis Lorenz, Nico Kurth, Oliver Maria Schmitt, Philipp Kionka, Raimar Schurmann, Robert Mucha, Rudolf Seitenstecher, Sandra Besara, Sarah Baudenbacher, Sarah Fischer, Sascha Uhrig, Sascha Wartha, Simone Ay, Ulla Kühnle, Uschi Marcu, Florian Geiger... Unseren weltbesten Kunden: adextra, Adler Apotheke HN, aim HN, Albert-Schweitzer-Kinderdorf, Agentur für Arbeit HN, Audi Forum, Audi Konferenz, Aufbaugilde, Auto Schneider, Auto- haus Hagelauer, Bechtle AG, Bianco Umzugsservice, Bickel GmbH, Bike Arena Bender, Blacksheep, Campus Founders, chouchou Boutique, ConWeimar, Dinkelacker, Easy Clean, Edeka Ueltzhöfer, Edin Amzi, Energeno, Energieberatung Schwabenland, Engler & Weimar Immobilien, Erzieherakademie, experimenta, Feldmann Hinderer Architekten, Fikret Akkaya, Flamenco Schule Bustani, FP Finanzpartner, Gartenbau Grüner Daumen, Getränke Ilsfeld, Grüne Emma, Haus der Familie, Heilbronx Entertainment, HILL gGmbH, HMG, Josef-Schwarz-Schule, Kaffeebucht, Kaffeehaus Hagen, Kaufland, Kolping Bildungswerk, Kletterpark Weins- berg, Kreativzentrum, KSK HN, Kulturamt HN, Kulturforum Brackenheim, Kulturmarkt Leingarten, Lidl, Lisbeth, Liva, Manarbo, Martin Lochner, Mercedes-Benz-Museum, MHP Riesen, MR Küchenflair, Museen HN, Naturvision, Neckarprinzen, Odenwald Rivercamp, Offene Hilfen HN, OK Baumanagement, performa, Pixelfirma, Planstudio, Porsche Zentrum HN, Samocca HN, Schäfer Textiles Wohnen, Schneider Bau, Schuler Elektro- technik, Schwarz Stiftung, Schreibwaren Seel, Simigo, Stadt HN, Stadtinitiative HN, Stadtsiedlung HN, Stadtwerke HN, Stephan Pierro, Steuerbüro Krönke, Stuckateur Herbst, TD Design, Theater HN, Therapeutikum, TUM HN, Ulrik Neumann, Volksbank HN, Waldkletterpark Weinsberg, Weingut Fischer, Welcome Center HN, Wieprecht Gastro, Wino Biolandbau, WKO, Wohnraum HN, Wunschhaus Living, Würth Kultur, ZEAG, Zimmergeschäft Jessel, ZKM Karlsruhe Unseren zahlreichen Auslagestellen! Unseren heldenhaften Abonnenten! Mehret Euch und verschönert Euch und uns die Zukunft! Unseren unzähligen, treuen Kooperations-Partnern! Allen, die in irgendeiner Form ihr Herzblut für uns haben toben lassen und die wir hier nicht namentlich erwähnt haben. Ja, und natürlich unseren Eltern, Kindern und Freunden. DANKBARKEIT. Viel davon. 0 7 . r N x i n a H 6

DIE TIPPS FÜR HEILBRONN & DIE REGION Liebe Leserinnen, liebe Leser, in den momentanen Zeiten ist es nicht ganz einfach Ausgehtipps für euch zu finden. Wir haben es trotzdem versucht und hoffen, für euch ist was dabei. Bitte informiert euch vor den Veranstal- tungen auf den jeweiligen Internetseiten über das Stattfinden, den Ticketverkauf und die Hygieneregeln der Veranstaltungen. Vielen Dank, euer Hanix-Team Ausstellung bis So. 28.02.2021 CRITICAL ZONES – HORIZONTE EINER NEUEN ERDPOLITIK ZKM Lichthof 1+2, Karlsruhe Lange blieben die Reaktionen der Erde auf unser menschliches Handeln unbeachtet, doch spätestens mit der Protestbewegung Fridays for Future ist die Klimakrise in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Gedankenausstellung ›Critical Zones‹ lädt dazu ein, sich mit der kritischen Lage der Erde auf vielfältige Art und Weise zu befas- sen und neue Modi des Zusammenlebens zwischen allen Lebensformen zu erkunden. Mittlerweile ist sich jede/r der existenti- ellen Bedrohung unserer (gemeinsamen) Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde bewusst, doch nur sehr wenige besitzen eine Vorstellung davon, wie sie mit dieser neuen kritischen Situation umgehen sollen. Die Bürger*innen vieler entwickelter Länder wirken desorientiert; fast so, als würde man von ihnen verlangen, auf einem neu- en Terroir – einer neuen Erde – zu landen, deren Reaktionen auf ihr Wirken sie lange ignoriert haben. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten veranstaltet das ZKM eine Ausstellung, die im kleinen Maßstab das Modell einer neuen Räumlichkeit so- wie die Vielfalt der Beziehungen zwischen den dort lebenden Lebensformen simuliert. Neben der Ausstellung vor Ort sind viele Werke auch auf der virtuellen Plattform der Ausstellung zu entdecken. experimenta, Heilbronn Sonderausstellung bis 21.05.2021 DU UND DEIN GEHIRN Im Kopf der Menschen verbirgt sich ein wundersamer Kosmos – das Gehirn. Dabei handelt es sich um eine äußerst komplexe Struktur, in der rund 86 Milliarden Ner- venzellen zu einem gigantischen Nerven- wald verbunden sind. In der neuen Son- derausstellung ›Du und dein Gehirn‹, die aus dem renommierten finnischen Sci- ence Center Heureka stammt, lädt die experimenta die Besucher ein, die er- staunlichen Fähigkeiten des Gehirns und seine Geheimnisse zu entdecken. Tickets für 4 Euro bzw. 2 Euro ermäßigt sind aktuell nur vorab und online erhältlich auf www.experimenta.science Ausstellung bis Sonntag, 28.02.2021 AUS ERDE Museum Altes Rathaus, Leingarten Die Ausstellung ist eine Hommage an Rudolf Daudert mit Skulpturen, Collagen, Schwemmhölzern und Textilbildern durch die Künstler Hildegard und Reinhard Siecke, Karl-Heinrich Lumpp und Bernd Altenstein. Vor mehr als einem halben Jahrhundert haben sie sich als Studenten an der Kunstakademie in Stuttgart in der Klasse von Professor Rudolf Daudert kennengelernt: Aus dem Studium bei diesem großartigen, feinsinnigen und in verständnisvollen Lehrer, der die vier nach Kräften gefordert und gefördert hat, ist eine Freundschaft erwachsen, die seit über fünf Jahrzehnten andauert. Und so unterschiedlich sie ihren bildhauerischen Werken auch sein mögen: Rudolf Daudert hat ihr Schaffen über all die Jahre hinweg begleitet – schon deshalb soll diese einzigartige Ausstellung auch ein ganz besonderes Statement und eine dankbare Hommage der vier Bildhauer- Freunde für ihren unvergessenen Weg- bereiter sein. Öffnungszeiten des Museums: Di. u Do. 17–19 Uhr, So.- und Feiertag 14–17 Uhr 0 7 . r N x i n a H Weltpremieren-Lesung Donnerstag, 17.12. DAS NEUE HANIX-BUCH ›WENN SCHON TOT, DANN IN HEILBRONN‹ Restaurant Trappensee, Heilbronn Ist das Weindorf ein Stadtteil von Heil- bronn? Hat die angebliche Universitäts- stadt überhaupt einen ordentlichen Abschluss? Ist Heilbronn wirklich eine Stadt – oder eher ein rätselhafter Be- wusstseinszustand? Wieviel Heilbronn kann ein gesunder Mensch überleben? Furchtlos stellt sich der Frankfurter Romancier und Satiriker Oliver Maria Schmitt diesen Fragen. Geboren und aufgewachsen in der Käthchenstadt am Neckar, wurde er Punkmusiker (»Tiefschlag«), Kunstaktivist (Herbert F. Kietznick) und Chefredakteur des Sa- tiremagazins Titanic. Er scheiterte als Kanzlerkandidat (Die PARTEI) ebenso wie als OB-Kandidat für Heilbronn. Für seine »herausragende unterhaltsame, humorvolle Berichterstattung« wurde er mit dem Henri-Nannen-Preis ausge- zeichnet. »Abgedreht, schräg, politisch super unkorrekt und brüllend komisch« Der Tagesspiegel über Oliver Maria Schmitt. Im Anschluss an die Lesung wird das Buch zum Preis von 20 Euro verkauft (nur Barzahlung). Anmeldung: Literaturhaus Heilbronn, Tel.: 07131 56-2668 oder via Mail an literaturhaus@heilbronn.de 8 STADT- UND LANDLEBEN

DIE TIPPS FÜR HEILBRONN & DIE REGION einschließlich eines exquisiten Pas de Deux zwischen der Zuckerfee und dem Prinzen, machen den Nussknacker zum Inbegriff des Weihnachtserlebnisses. Dauer: 2 Stunden, 20 Minuten (inkl. 1 Pause) Karten unter: www.kinokult.de/filme/der-nussknacker Liebe Leserinnen, liebe Leser, in den momentanen Zeiten ist es nicht ganz einfach Ausgehtipps für euch zu finden. Wir haben es trotzdem versucht und hoffen für euch ist was dabei. Bitte informiert euch vor den Veranstal- tungen auf den jeweiligen Internetseiten über das Stattfinden, den Ticketverkauf und die Hygieneregeln der Veranstaltungen. Vielen Dank, euer Hanix-Team 23.12.2020 Musik JAZZ IM WARTESAAL – GEORGE MORRISON BAILEY Wartesaal, Besigheim George M. Bailey arbeitete schon unter John Cranko als Korrepetitor beim Stuttgarter Ballett. Im Ruhestand widmet er sich nun als Sänger unter anderem der Musik von George Gershwin. Begleitet wird er vom Pianisten Harald Schwer, Christian Brinkschmidt am Bass und Joe Kukula am Schlagzeug. Eintritt: 12 | 10 Euro Kino/Ballet 20.12.2020 THE ROYAL BALLET ›DER NUSSKNACKER‹ Scala, Ludwigsburg Aufzeichnung aus dem Royal Opera House London. Choreographie: Peter Wright nach Lew Iwanow. Musik: Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. Diese herrliche Aufführung des Royal Ballet von ›Der Nussknacker‹ wurde 1984 von Peter Wright kreiert. Sie ist die Inszenierung par excellence eines der beliebtesten Ballettstücke aller Zeiten. Es ist Heiligabend und der Zauberer Drosselmeier entführt die junge Clara in ein fantastisches Abenteuer, in dem die Zeit aufgehoben ist, das Wohnzimmer der Familie zu einem großen Schlachtfeld wird und sie eine magische Reise durch das Schneeland zum Reich der Zuckerfee führt. Tschaikowskys glitzernde Partitur, die wunderschönen festlichen Bühnenbilder und der fesselnde Tanz des Royal Ballet, Weinwanderung 09.01.2021 und 30.01 2021 WINTERLICHE FACKEL- WEINWANDERUNG Weinberge, Weingut Rolf Heinrich, Heilbronn Dunkelheit und Fackelschein zaubern eine ganz besondere Atmosphäre in die Weinberge. Lassen Sie sich von Weingärtner Andreas Heinrich durch die winterliche Weinwelt führen. Unterwegs gibt es Winzer-Glühwein und im An- schluss wartet im Weingut ein rustikales Abendessen und eine 6er-Weinprobe. Kosten: 45 Euro pro Person inkl. Ticket Gesamtnetz Nahverkehr (HNV) für die An- und Abreise. Eine Anmeldung ist erforderlich unter Tel. 07131 56 41 03. Veranstalter: Weinbau Rolf Heinrich GbR. Weitere Infos auf www.heilbronn.de/veranstaltungen 16.01.2021 Premiere Theateraufführung VOR SONNENAUFGANG Theater, Heilbronn, Großes Haus Ein Schauspiel von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann. Auf den ersten Blick ist alles bestens in der Unternehmerfamilie Krause. Seniorchef Egon baut die Villa um, weil seine schwangere Tochter Martha mit ihrem Mann, Juniorchef Thomas Hoffmann, einzieht. Doch hinter der Fassade gärt es. Die Konflikte brechen auf, als Thomas Besuch von seinem alten Freund Alfred, Journalist einer linken Zeitung, bekommt. Früher teilten sie ihre politischen Ideale. Jetzt tritt Thomas öffentlich als Rechtspopulist auf. Der Riss durch die Zeit, der durch Familien und Freundschaften geht: Ewald Palmetshofer hat Hauptmanns Sozialdrama von 1889 ins Heute übertragen. 0 7 . r N x i n a H 20.01.2021 Kaffeehausgespräche WEHRET DEN ANFÄNGEN Kaffeehaus Hagen, Heilbronn Die monatlichen Kaffeehausgespräche im Heilbronner Kaffeehaus Hagen, Christophstraße 15 unter dem Motto ›Weh- ret den Anfängen! Nichtstun und immer nur schockiert sein ist tödlich!‹ Diesmal: ›Hassmails, Drohungen, Rassimsus – wie verändert sich der öffentliche Diskurs?‹ Diskussion mit Landtagspräsidentin Muhte- rem Aras über ihre Erfahrungen mit Rechts- extremismus in der Landespolitik und im Landtag. Moderator ist Gunter Haug. 10 STADT- UND LANDLEBEN

»KINDERDORF HEISST FÜR MICH ZUHAUSE« – VON EINER, DIE ZURÜCKKEHRTE. Das Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg kann noch viel mehr, als Kindern ein Zuhause zu bieten. Von Maike Endresz Foto: Albert-Schweitzer-Kinderdorf Zsuzsanna Fellinger (47) weiß sehr genau, was es bedeutet, nicht bei den leiblichen Eltern aufwachsen zu können, denn auch sie fand als Zehnjährige in einer Waldenburger Kinderdorffamilie ein neues Zuhause. »Ich habe meiner Kinderdorfmutter alles zu verdanken. Sie hat mich unterstützt auf meinem Weg in ein selbst- bestimmtes Leben. Das Aufwachsen im Kinderdorf war wirklich schön. Ich erinnere mich immer wieder gerne an die gemeinsamen Mahlzeiten in großer Runde.« Nun, viele Jahre später, gibt sie ihre gesammelten Erfahrun- gen an andere weiter. Als Kinderdorfmutter bietet sie damit den heutigen Kindern einen Wohlfühlort. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin hat Frau Fellinger zunächst in einem Kindergarten gearbeitet und ist dann als Mit- arbeiterin in ihr Kinderdorf zurückgekehrt. Berufsbegleitend hat sie Sozialpädagogik studiert und lebt nun mit ihrer Familie und sieben aufgenommenen Kindern als Hausmutter im Kinderdorf. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und ist inzwischen auch Oma geworden. Unterstützt wird sie dabei von einem Team an Pädagogen, unter anderem Anna Pressler, 32 Jahre, verheiratet. Sie arbeitet als Erzieherin in der Kinderdorffamilie Fellinger und ist inzwischen seit 10 Jahren im Waldenburger Kinderdorf tätig. Was macht es für sie aus, im Kinderdorf zu arbeiten, was schätzt sie daran ganz besonders? »Im Alltag mit den Kindern kann ich eigene Interessen und meine Persönlichkeit einbringen. Zum Beispiel koche ich sehr gerne und es macht mir Spaß, gemeinsam mit den Kindern neue Rezepte auszuprobieren. Ich kann mit meinem Wissen und meiner Erfahrung Kinder über viele Jahre fördern und sie beim Erwachsen- werden begleiten. Dabei entstehen Bindung und Vertrauen – es kommt sehr viel von den Kindern zurück.« Kinder haben den Wunsch nach Halt, Geborgenheit und Liebe. Sie brauchen stabile verlässliche Beziehungen sowie die Sicherheit, geliebt zu werden mit allen Stärken und Schwächen. Doch leider sieht die Realität oft anders aus. Viele Eltern haben Probleme mit sich selbst und können die Verantwortung für ihre Kinder nicht tragen. Gewalt und Verwahrlosung können Folgen sein und Gründe, warum Kinder Hilfe brauchen. Das Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Kindern ein neues und langfristiges Zuhause zu bieten. Die Kinderdorfeltern leben hier mit ihren eigenen Kindern im Kinderdorf und nehmen zusätzlich sieben Kinder auf. Dabei werden sie durch pädagogische Fachkräfte in ihrer Arbeit unterstützt. Hier werden immer weiter Erzieher*innen und Kinderdorfeltern gesucht. Durch das Zusammenleben in einer Familie erleben die Kinder wieder Stabilität, Verlässlichkeit und Orientierung. Ganz individuell je nach Bedarf erhalten die aufgenommenen jungen Menschen vielfältige pädagogische und psychologische Hilfen. Das Waldenburger Kinderdorf ist das klare Herzstück der Einrichtung, doch die Angebote des Vereins haben sich weiter- entwickelt: Mit rund 160 Beschäftigten werden Kinder, Jugendliche und Familien in der Region Heilbronn-Franken durch verschiedene stationäre, ambulante und präventive Angebote unterstützt. Dazu gehört unter anderem der naturnahe Kindergarten ›Waldpiraten‹, eine Mädchenwohngruppe, zwei Wohngruppen in Heilbronn, ein Frauen- und Kinderschutzhaus im Hohenlohekreis, diverse Jugendreferate und die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Ausländer. Um dies immer weiter tun zu können, ist der Verein auf Spenden angewiesen um, neben vielem anderen, Fahrzeuge für die Familien oder Schulsachen für die Schüler anzuschaffen, Spielgeräte im Aussengelände zu erneuern. Und um einfach weiterhin Kindern und Jugendlichen unter die Arme zu greifen und Liebe und Geborgen- heit geben zu können. Eine wunderbare Sache, die unbe- dingt unterstützt werden muss! ◆ 0 7 . r N x i n a H r e g n i l l e F a n n a s z u s Z : d l i B m i s k n L i 12 STREIFZUG DURCH STADT, LAND UND REGION

Notizen aus der Provinz Es werde Licht! Dies vornweg: die pietätvolle Gepflogen- heit ›über die Toten nur das Beste‹ soll natürlich auch hier gelten, wenn im Folgen- den eine Unsitte näher beleuchtet wird, die bei demokratisch orientierten Zeitgenos- sen heftiges Magengegrummel auslöst. Um damit auf den Punkt zu kommen: in seinem Wohnort im schönen Schloss zu Schwaigern ist vor wenigen Wochen ›seine Erlaucht‹ entschlafen. Genauso hochbetagt wie hochdekoriert mit Orden weltlicher und geistlicher Provenienz. So weit – so traurig und ansonsten: siehe oben! Was jedoch dem erbgräflichen Bar- riquefass den Boden wieder Mal granaten- mäßig herausgeschlagen hat, das war ein stilvoll-gedrechseltes ›Erlaucht‹, das in jenen Tagen wie selbstverständlich allüberall die Runde machte. Gedruckt wie gesprochen. Bedenkenlos nonchalant über die Lippen geschwurbelt von Blau- blütern edelster Herkunft genauso, wie von Amtsträgern einfachsten bürgerlichen Geblüts. Ohne jeglichen Rest einer scham- haften Verlegenheit. Gerade so, als hätte es die Weimarer Reichsverfassung vom 14. August 1919 nie gegeben. Die seinerzeit in ihrem Artikel 109, Absatz 2, klipp und klar bestimmt hat: »Öffentlich-rechtliche Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes sind aufzuheben. Adelsbe- zeichungen gelten nur noch als Namen und dürfen nicht mehr verliehen werden.« Alle Bürger seien vor dem Gesetz gleich, hieß es da – zugegebenermaßen ziemlich revo- lutionär - auch noch. Aber halt: waren das nicht genau dieselben Leute, die unseren Kaiser Wilhelm davongejagt haben?! Bloß weil der vor 100 Jahren einen Weltkrieg verloren hat? Aber was bitteschön ist so ein klein- bürgerliches Gesetzeskonstrukt gegen eine tausendjährige Adelsgeschichte?! Im Angesicht solcher ritterlichen Tra- dition sollte sich ein minder geborenes kleinbürgerliches Verwaltungswürstchen lieber auf die gute alte höfische Etikette zurückbesinnen und – beispielsweise - die verwitwete Prinzessin gefälligst als solche titulieren, ebenso wie man die als ›Erzherzogin von Österreich‹ firmierende Schwiegertochter des Verblichenen, der Etikette entsprechend, alleruntertänigst als ›kaiserliche Hoheit‹ anzusprechen hat, was im Übrigen von seiner Hoheit übli- cherweise genauso widerspruchslos wie nonchalant zur Kenntnis genommen wird, selbst auf die Gefahr hin, dass ihr wohl entgangen sein dürfte, dass man laut öster- reichischem Adelsaufhebungsgesetzt vom 11. April 1919 sogar als Habsburgerin ›in den Hefen‹ (österreichisch-umgangssprach- lich für Gefängnis) gesteckt werden kann, wenn man es wagen sollte, sich den Titel in der Alpenrepublik ans Ballkleid heften zu wollen. Ach, diese kleinkarierten Österre- icher! Was sind wir im Unterland dagegen liberal und kratzbucklig, wenn es um einen Bückling vor den wahren Hoheiten geht, in deren Abglanz sich das titellose Würst- chen, dessen Vorfahren jahrhundertelang unter der Adelsknute von demokratischen Rechten noch nicht mal träumen konnten, allergnädigst ein klitzekleines Weilchen sonnen darf. Getreu dem Motto: gleiches Recht für alle - nachdem sich kürzlich ein bürgerlicher ›Spitzenpolitiker‹ aus dem Rheinland nicht entblödet hat, eine Ver- wandtschaft mit Karl dem Großen herbei zu fantasieren... Bei so viel unterwürfiger Geschichts- vergessenheit verwundert es kaum, dass sich die Durchlauchten mehr und mehr aus der Deckung wagen, um das längst vom demokratischen Staat zurück verge- sellschaftete, vor Jahrhunderten dreist ergaunerte Grund- und Bodenbesitztum wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen. Erinnert sei diesbezüglich nur an den Ho- henzollernsprössling, der noch immer nicht wahrhaben will, dass sein Urahn im Ersten Weltkrieg nicht nur zig-Millionen Menschen in den Tod getrieben hat, sondern dessen Nachfahren auch die Nazis tatkräftig an die Macht gepusht haben. Und dennoch hat das raffgierige Standesherrlein allen Ernstes die Stirn, seinen Unrechtsbesitz von einst mit Zins und Zinseszins zurück zu fordern! Seltsamerweise handelt es sich dabei immer nur um die gewinnversprech- enden Filetstückchen, während sich um die Wiederherstellung der zahlreichen, vom Edelmann verlassenen Ruinen, natürlich sehr gerne der bürgerliche Staat mit seinen Denkmalschutzmillionen kümmern darf. Na gut: manchmal können sie einem ja schon leid tun, wenn man mitbekommt, wer sich da im Stammbaum eines ›von und zu‹ so alles getummelt hat: Massenmörder, lichtscheue Gesellen, Perverslinge jeglicher Couleur, Triebtäter und Co KG. Das ist aber halt der Nachteil eines ewig langen Stammbaums, dass man auch auf Gestalten trifft, die das Tageslicht nicht unbedingt zu ihrem Vorteil haben erstrahlen lassen. Andererseits: was solls? Was kann der Enkel dafür, dass sein Urahn im Dunkel der Historie einstens so allerhand verbrochen hat? Oder anders herum: vielleicht wäre es besser, den ganzen Titel-Blödsinn end- lich dorthin zurückzubefördern, wohin er schon lange hingehört: in den Orkus der Geschichte nämlich. Dazu bräuchte es eigentlich gar nicht viel, nur einen Arsch in der Hose samt einem aufrechten demokratischen Selbstbe- wusstsein. So einfach ist das. Und schwupp- diwupp: schon säße der Erlauchte zappen- duster im Dunkeln und müsste sich seinen Lichtschalter in die Erkenntnis höchstselbst anknipsen. ◆ 0 7 . r N x i n a H 14 GUNTER HAUG-KOLUMNE – FOLGE 9

Komfort, Naturverbundenheit, Schönheit innerhalb und außerhalb der eigenen vier Wände. Geht das auch in dieser Region – die mal wohlstandsorientiert, oberflächlich und grau ist und dann wieder bescheiden, kreativ, sozial und stilvoll? Heilbronn und seine Wohnkultur sind ambivalent. Sie bieten dadurch aber Raum zur individuellen Entfaltung, etwa ›Vintage‹ und Moderne zu verbinden, in Persönlichkeit und Style. Text und Foto: Maria Maroge 0 7 . r N x i n a H Der individuelle Mix schön zu leben Oma wäre stolz, wenn sie sehen würde, wie fantastisch ihre alt- modischen, bestickten Kissen und ihr goldverziertes Porzellan meinen Wohnraum schmücken. Das nennt man ›Vintage‹. Dieser ehemalige Kitsch darf auch noch mit modernen Elementen ge- paart werden und das passt so gar nicht zusammen – sieht aber fantastisch aus! Das nennt man ›Mix und Match‹. Der Mann im Haus versucht erst gar nicht zu verstehen, was da in letzter Zeit in sein Weibsbild gefahren ist. Die sterile, puristische Wohnung ist dahin, geschmückt mit allerlei Erbstücken, Altmodischem, Selbstgemachten, Illustrationen ohne Bilderrahmen. Dieser Stil der Kontraste und des Unperfekten irritiert auch Schwiegermutter, wenn sie zu Besuch ist. Meine Blumentöpfe auf der langen Fenster- bank schiebt sie synchron zueinander. Meine Kissen drapiert sie unauffällig in tadellose Abstände. Ich lächle nur und lasse sie. Das ist der Zwang ihrer Generation, die äußere Perfektion verschafft ihnen oft innere Ordnung und Sicherheit. Die Generationen danach allerdings wollen sich abgrenzen – also fast alles anders machen. Die Kissen werden nach ihrem Besuch auf einen Haufen in die Sofaecke und die Töpfe wieder in eine Ecke zusammengeführt. Meine kleine Oase der Gemütlichkeit und des Unperfekten wird wieder hergestellt. Aber meine Trockenblumen rette ich trotz- dem davor, von ihr entsorgt zu werden. »Nein, die sind nicht verwelkt!« Über Geschmack lässt sich manchmal streiten, aber eines scheinen viele Menschen gerade gemeinsam zu haben: die Sehnsucht, mit der Natur verbunden zu sein. Das spiegelt sich in Mustern, Stoffen und Farben wider. Florale und tierische Prints, Materialen aus der Natur schmücken Innenräume und Farben, wie grün oder Pastelltöne, schenken gerade Wohlbehagen. Alltagsphilosoph Frank Berzbach plädiert in seinem Buch ›Die Form der Schönheit‹, seinen Blick bewusst zu schärfen, um die Schönheit um sich herum zu erkennen. Das gilt auch für Innenräume: »Wenn wir einen Raum betreten, werden wir umge- hend zum Interieur und wir selbst sind umstellt von möbliertem Sinn.« Innenräume spiegeln also das Innenleben ihrer Bewohner wider. So ist es auch eine Geste der Wertschätzung, wenn man in private Räume anderer geladen wird. Das durfte ich neulich ein- drücklich erleben, als ich eine liebe Bekannte erstmals besuchte. Ihre Wohnung überforderte und faszinierte mich zugleich. Die vielen Bilder, Dekoelemente, Zeitungsausschnitte, Grafiken, 16 LIFESTYLE

Was kostet nicht viel, lässt sich innerhalb eines Tages in der Region erledigen und bringt im besten Fall auch noch Spaß? In jeder Ausgabe begeben wir uns auf die Suche nach ebensolchen Aktivitäten, die man in und um Heilbronn erleben kann. Ein ›Abenteuer um die Ecke‹ eben. Von Maike Endresz, Fotos: Ulla Kühnle 0 7 . r N x i n a H Kunstkurs in Pfaffenhofen: »Der Mensch ist ein schöpferisches Wesen!« Das sagt und lebt Anna Sansi. In Ihrem wunderschönen Atelier, das einst ein Kuhstall war, begrüßt sie uns mit ihrem Zauberlächeln in Pfaffenhofen. Dort wohnt und arbeitet die 45-jährige ehema- lige Weltenbummlerin und studierte Künstlerin. Durch die enge Verbindung von Wohnen und Arbeiten kann sie auch im Schlafi Kunst machen, wenn sie Lust dazu hat, und mit ihren zahlreichen Kunstschüler*innen tun und lassen was ihr in den kreativen Kopf kommt. Auch das riesige Grundstück hinter Haus, Scheune und Atelier der Familie Sansi bietet dafür schier unbegrenzte Möglich- keiten. So wird dort bei heißem Wetter schon mal mit den Füßen in der Zaber gemalt, im ›Free-your-Soul‹-Programm das Werk im Lagerfeuer verbrannt oder ein Nachtmarkt der Künste veran- staltet. Im Atelier, durch dessen Fenster man einen wunderbaren Blick in den verwunschenen Garten hat, bollert der Ofen und es ist warm und friedlich. Hier wird in den diversen Kinder- oder Erwachsenen-Kursen gemalt, gezeichnet, modelliert, gedruckt, getont, es werden Kindergeburtstage und Junggesellinnenabschie- de gefeiert. Für mich hat sich Anna heute Monotypie überlegt, da wollen wir das Kontrollierende ausschalten und somit eine Verbindung zu meinem inneren Künstler aufbauen. Na, hoffentlich finden wir auch einen, irgendwo da in mir drin. Die Sorge davor, dass da keiner anwesend ist, macht mich bisschen aufgeregt, was Anna mir aber ganz schnell austreibt: »Mir ist wichtig, dass Du bei Dir ankommst und was ganz Eigenes erschaffst. Es gibt kein richtig oder falsch. Natürlich bringe ich Dir ein paar Techniken bei, aber dann soll es einfach fließen und Dein Eigenes werden.« Dafür machen wir erstmal alle etwaigen Malvorlagen, die ich vielleicht in meinem Kopf habe, weg. Das geht mit ein paar Kreativübungen ganz wunderbar und mit großem Spaß: Ich male mit Kohle einen Vogel, dann einen Hasen und einen Elefanten von einem Bild ab. Allerdings: ohne, dass ich sehen kann, was ich da tue. Das ist wunderbar. Es sieht gar nicht so schlimm aus, wie ich erwarte, eher frei und unkontrolliert. Und: sie sind alle irgendwie zu erkennen. Erst mit der rechten Hand, dann links und immer blind. Dann mit beiden Händen gleichzeitig. All das ist ein echtes Herzerfreu, ich strahle übers ganze Gesicht und hüpfe ein bisschen. Als nächstes gibt’s ne Schürze, oha, ich spekulier auf tief Eintauchen in die Kunst. Und ja: Mit den Händen voller Farbe male ich an der Wand ein riesiges Porträt von... ich weiß es nicht, vielleicht meiner imaginären Freundin Lydia aus meiner Kindheit. Herrlich ist die geworden. Riesengroß und sehr wohl- wollend schaut sie drein. Das Allerschönste daran ist: Die Hände voller Farbe einfach – matsch und schlotz und schlurps – an der Schürze abzuschmieren. Ich fühl mich antiautoritär erzogen grad. Eine Premiere. Überhaupt ist mein inneres Kind so präsent, so glücklich, so zufrieden, es fehlt nichts und niemand und ich habe es einfach nur wunderschön. Frei und wohlig. Weiter geht es mit einer wahllosen Ansammlung von Augen, Nase, Mund, Hand und Fuß, die ich mit Kohle auf Papier zeichne und anschließend zu einem Wesen verbinde und mit Farben be- male. Neben und bei mir ist unsere Fotografin Ulla, da ist auch Anna um mich rum, aber ich nehme sie beide nicht mehr wahr. Voll drin, die kleine Maike, im Farben- und Sinnesrausch. Aber Anna möchte ja auch noch »was Richtiges« mit mir machen, Nämlich Monotypie. Zuallererst gibt es dafür einen Zeichen-Crashkurs. Und aus allen Dingen auf der Welt, die man 18 ABENTEUER UM DIE ECKE

Hausgemeinschaften werden. Längstmögli- che Nutzungszeit durch hohe Nutzungsflexi- bilität sowie nachhaltige Materialqualität muss alle Um- und Neubaumaßnahmen kennzeichnen. So wie im ›Neckarbogen‹ zuerst die Grün- und Wasserflächen angelegt wurden, müssen Quartierssanierung und Bau von neuem Wohnraum mit spürbaren Umfeld- verbesserungen einhergehen. Günstig sind die bereits vorhandenen Freiflächen im Osten und der nahe Neckaruferpark im Westen. In diesem Management des Wandels ist mit konsequenter Bürgerbeteiligung die behutsame Verdichtung mit Respekt vor der Bewohnerschaft und dem Bestand auszuhandeln. Verdichtung heißt mehr, als nur zusätzlichen Wohnraum bauen, es muss auch ein Mehr an Rückzugs- und Er- holungsräumen geschaffen werden. Der Blick in die Wiederaufbaupläne und den Masterplan der Stadt Heilbronn zeigen, dass Innenhöfe begrünt gedacht waren, die heute hauptsächlich durch ruhenden Verkehr und Garagen belegt sind. Daher muss Mobilität neu gedacht werden. Quartiersgaragen, Tiefgaragen und Radwege sind länger schon viel diskutierte Maßnahmen, um Flächen mit Aufent- haltsqualität im Stadtraum zu schaffen. Neue Gedanken, wie ›Schwammstadt‹ zur längerfristigen Wasserhaltung in der Stadt, für die Bewässerung von dringend notwen- diger Bepflanzung, gewinnen angesichts zunehmend heißerer Sommermonate an Bedeutung für die gesamte Stadt und ver- stärken den Handlungsdruck. Aktuell wurde vom Gemeinderat be- schlossen, den Bereich Turmstraße und Zehentgasse als ein zentrales Element des Masterplans aufzuwerten, ein erster Schritt. In der Stadt muss neben vielen an- deren Lebensformen auch Familienwohnen ein wesentliches Ziel sein. Das bedeutet mehr Raum und hohe Gebäudeeffizienz mit preiswerter Bauweise durch intelligente Planung, scheinbar selbstverständlicher Luxus kann durch zusätzlichen Ausbau er- reicht werden. Daneben ist die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für Veränderungen wichtig. Das Tragwerk reduziert sich auf den Kern und die Fassade, Wohnungen können wachsen oder schrumpfen und sich den unterschiedlichen Lebensphasen anpassen. Gemeinschaftsflächen können den einzelnen Grundriss entlasten, für diese Flexibilität ist Management notwendig. Das könnte bedeuten, dass Wohnhäuser zum Arbeiten und Bürohäuser zum Wohnen geeignet sind. Unabhängig von der Nutzung 0 7 . r N x i n a H ›Schwarmstadt‹ Heilbronn, BUGA-Begeisterung und BUGA-Erfahrung, wachsende Bildungseinrichtungen, Investitionen in Zukunftstechnologien, Renditeerwar- tungen beim Wohnungsbau, attraktive Förderprogramme für sozialen Wohnungsbau – das sind die aktuell güns- tigen Rahmenbedingungen, um sich Gedanken über die Innenstadt und ihre Potentiale zu machen. Text und Foto: Franz-Josef Mattes Innenstadt verdichten – Mut zur Zukunft Verdichtung von Stadträumen ist viel dis- kutiert, die Schlagworte heißen Innen- entwicklung vor Außenentwicklung, Stär- kung der Innenstädte statt neuer Wohnge- biete am Rand. Was kann Verdichtung bedeuten? Mehr Bewohner in der Innenstadt? Mehr Kaufkraft für den innerstädtischen Handel? Mischung von Wohnen, Arbeiten und Kultur? Verrin- gerung von Verkehr und Neuorganisation von ruhendem Verkehr? Aber reicht das? Was erwarten die Bewohner von der Innenstadt? Welche Erfahrungen und Ansprüche aus der Bebauung des ›Neckarbogen‹ können oder sollen in der Innenstadt gelten? Ergänzen und für die Zukunft handeln ›Die nördliche Kernstadt‹ ist geprägt durch dichte Bebauung mit Gassen und Höfen, hauptsächlich errichtet im ›Wiederaufbau‹ der fünfziger Jahre. Heute erscheint die- ser Bereich wie eine gewachsene Struktur, vermutlich auch mit einer sehr vielfälti- gen Bewohnerschaft aus schon lange dort Wohnenden, zunehmend auch mit neuen Bewohnern aus dem nahe gelegenen Bil- dungscampus. Vor 15 Jahren war dieser Bereich das Sorgenkind der Innenstadt. Neue Einrichtungen in der Umgebung geben nun Chancen und können helfen, notwendige Veränderungen verträglich zu unterstützen. Wie soll hier zusätzlicher Raum geschaffen werden? Wir schlagen vor, in diesem Quartier maßvoll gestaltet in die Höhe zu wachsen. Es ist ein Quartierkonzept zu entwerfen und gleichzeitig die energetische Sanierung der Bausubstanz und Schaffung barrierefreier Wohnungen zu fördern. Die Erhöhungen könnten mit hochgedämmten Holzbauten in Vorfertigung errichtet werden und Dachflächen sollten Freiflächen für die 20 Parkplatz nördliche Innenstadt GESELLSCHAFT

HANNES FINKBEINER, Geschäftsführer der Aufbaugilde Heilbronn gGmbH engagiert sich seit über 30 Jahren für sozial benachteiligte Menschen. Von Hannes Finkbeiner Foto: Aufbaugilde Heilbronn Der Schrumpfkurs im sozialen Wohnungsbau muss aufhören 0 7 . r N x i n a H Heinrich Zille (1858 - 1929), Berliner Zeichner und Fotograf, sagte einmal: »Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.« Ganz so weit ist es in Heilbronn zwar noch nicht, aber die jährlich steigenden Mieten zeigen: Der soziale Wohnungsbau befindet sich in Heilbronn und im Landkreis seit Jahren auf dem absteigenden Ast. Für betroffene Menschen ist das eine schlimme Situation. Die offizielle Statistik des Stuttgarter Wirtschaftsministe- riums unterstreicht die verhängnisvolle Entwicklung. Demnach sinkt der Anteil von gefördertem Wohnraum, also preisgünstigen Mietwohnungen, immer weiter. Bestes Beispiel ist die niedrige Sozialquote im Vorzeigequartier ›Neckarbogen‹. Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes in Heilbronn ist dies nicht nur beschämend, sondern ein schweres Versäumnis. Innerhalb von nur zwei Jahren (2018 bis 2020) sank im Stadt- kreis Heilbronn die Zahl der geförderten Wohneinheiten (WE) von 1316 WE auf 1276 WE. Im Landkreis Heilbronn ging’s von 213 WE auf gerade mal 181 WE runter. Damit bestätigt sich in Heilbronn und der Region ein bundesweiter Trend: Der sozial geförderte Wohnraum geht dramatisch zurück und gleichzeitig steigen die Baukosten, Grundstückpreise und letztendlich die Mieten. Verlierer sind längst auch Haushalte der Mittelschicht, aber besonders trifft es alleinstehende Senioren mit kleiner Rente, Alleinerziehende, Geringverdiener, Hartz-IV-Empfänger und Wohnungslose. Wer in Heilbronn verzweifelt nach günstigem Wohnraum sucht, erhält nicht selten die freundliche Aufforderung, doch einfach in den Landkreis umzuziehen. Das ist ebenso zynisch wie illusorisch. Die hohen Mietkosten in den Landkreis-Gemeinden, aber auch schlechte Nahverkehrsverbindungen zum Beispiel im Zabergäu, sind für viele Haushalte ein unüberwindbares Hindernis. Der Beschluss des Heilbronner Gemeinderats einer 20-Pro- zent-Quote für den sozialen Wohnungsbau im ›Neckarbogen‹ ist in diesem Zusammenhang daher viel zu niedrig und eine Enttäuschung für alle, die sich ein deutliches sozialpolitisches Signal in diesem ›Vorzeigequartier‹ erhofften. Während andere Städte in Baden-Württemberg längst deutlich höhere und feste Sozialquoten eingeführt haben (Beispiele: Mannheim: 30 Prozent ab zehn WE, Freiburg: 50 Prozent) zögert Heilbronn fatalerweise hier nachzuziehen – trotz deutlich angespanntem Wohnungsmarkt. Ich halte das für einen schweren Fehler, der sich über kurz oder lang rächen wird. Eine Folge der Gemeinderatsentscheidung könnten Mietpreise von 14 bis 15 Euro pro Quadratmeter im ›Neckarbogen‹ sein und Kaufpreise zwischen 5000 Euro und 6000 Euro pro Quadratmeter. Geförderte Wohnungen werden vermutlich zwischen 8,50 Euro und 9,50 Euro Miete pro Quadratmeter liegen. Das heißt: Sogar die Nutzer von geförderten Wohnungen müssten im oberen Be- reich der Einkommensgrenzen liegen, um diese Mieten überhaupt aufbringen zu können. 22 GESELLSCHAFT

Das Ehepaar ROMAN und CONNY KRAFT wird mit ihrer Tochter Sophia in das Projekt ›Begleitete Elternschaft am Neckarbogen‹ einziehen. Von Hartmut Seitz-Bay Foto: Thorsten Heinzelmann Von der Anstalt zum assistierten Wohnen Woher wir kommen Nach dem 2. Weltkrieg und der programma- tischen Vernichtung von mehr als 70.000 Menschen mit Behinderung durch die Na- tionalsozialisten waren es vor allem die kirchlichen Organisationen, die, getragen vom Gedanken, Menschen mit Behinderung ein lebenswertes Leben zu ermöglichen, die Anstalten sehr schnell wieder reaktiv- ierten und ausbauten. Unter dem Leitmotiv der Nächstenliebe waren diese Aktivitäten zunächst auch sehr vielversprechend und für die Betroffenen eine große Hilfe. In der Folge entwickelte sich aber 50 Jahre lang eine Subkultur von und für Menschen mit Behinderung. Diese führte dazu, dass sich eine Parallelwelt für sie etablierte und es kaum Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung gab. Mit Einführung der UN Behindertenrechtskonvention im Jahre 2009 änderte sich dies und es war fortan Bestreben der Betroffenen, wie auch eines Teils der betreuenden Organisationen, dass Menschen mit Behinderung gleich- berechtigt leben. Deshalb leben heute Menschen mit Be- hinderung auch in Heilbronn alleine, mit Partner*innen oder Freund*innen in un- seren Nachbarschaften. Mit Einführung des Bundesteilhabegesetzes ist nun auch recht- lich festgeschrieben, dass Menschen mit Behinderung außerhalb einer Einrichtung im eigenen Wohnraum mit entsprechender Assistenz leben können. Der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum wird sich dadurch in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Wo wir stehen Realität ist, dass die Tatsache, eine (geis- tige) Behinderung zu haben, meist damit einhergeht, von Sozialhilfe leben zu müs- sen. Dies begrenzt die Möglichkeiten, eine Wohnung in Heilbronn zu finden erheblich. Bei den Investoren herrscht Goldgräberstim- mung, das Mietniveau nimmt in Heilbronn teils absurde Dimensionen an und die sehr positive Entwicklung Richtung Studieren- denstadt heizt den Markt weiter an. Diese Situation trifft nun auf den Anspruch des inklusiven Lebens für Menschen mit Be- hinderung unter dem Motto »Mittendrin statt außen vor«. Grundvoraussetzung für ein inklusi- ves Leben ist es aber, Wohnraum inmitten der Gesellschaft zu haben. Ohne das her- vorragende Engagement der Heilbronner Stadtsiedlung gäbe es für Menschen mit Behinderung kaum Lebensmöglichkeiten in den eigenen vier Wänden in Heilbronn. Aber auch die Stadtsiedlung stößt an ihre Grenzen: Der Spalt zwischen dem, was über Grundsicherung an Miete bezahlt wird, hinkt inzwischen – trotz umfangreicher Förderung des Landes – der Mietpreisentwicklung in Heilbronn hinterher. Es wird vermutlich selbst mit entsprechender Förderung nicht möglich sein, dass Menschen, die auf staat- liche Transferleistungen angewiesen sind, im ›Neckarbogen 2‹ Wohnraum finden. Richtig ist, dass es uns seitens der Offenen Hilfen mit größter Anstrengung und maximalem Entgegenkommen der Stadtsiedlung gelungen ist, im ›Skajo‹ Wohnraum für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Die Menschen, die dort leben, fühlen sich sehr wohl. Allerdings leben sie zum Großteil in Wohngemeinschaften, da Einzelwohnen bis auf wenige Ausnahmen nicht finanzierbar ist. Es darf nicht sein, dass Menschen mit Behinderung gezwungen sind, in WG´s zu leben. Für diejenigen, die das wollen, ist es gut. Aber es muss häu- figer auch die Möglichkeit des individuellen Wohnens geben. Auch am Südbahnhof konn- ten wir nur mit Hilfe und initiiert von einer Elterninitiative inklusives Wohnen realisie- ren. Dort in Gemeinschaft mit Studierenden. Möglich wurde dies dadurch, dass auch diese Initiative eben keine Gewinnabsichten hat und mit einer minimalen Rendite im Sinne der guten Sache zufrieden ist. Beides ist auf den freien Markt nicht übertragbar. Dass der Markt dies schon richten werde, wie ein Teil der Politik nicht müde wird zu verkünden, ist eine Mär. Das Wohnen dem Markt zu überlassen, führt zu Ausgrenzung. Es besteht die große Ge- fahr, dass anhaltende Wohnungsnot und Ausgrenzung von Teilen der Gesellschaft am Mietmarkt zu einer gesellschaftlichen Spaltung führt. Dies kann niemand wirklich wollen. Der Anteil des geförderten und damit kostengünstigen Wohnraums sinkt seit Jahren – und dies bei stetig steigendem Bedarf. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass geförderte Wohnungen aus den 1970er und 80er Jahren aus der Bindung fallen und nun stark verteuert auf dem freien Miet- markt feilgeboten werden. Gebaut wird in Heilbronn mit großem Eifer, das ist un- 0 7 . r N x i n a H 24 Hartmut Seitz-Bay (links im Bild) mit Familie Kraft. GESELLSCHAFT

Wir sprachen mit dem Geschäftsführer der ›Stadtsiedlung Heilbronn‹, DOMINIK BUCHTA, über sozial gefördertes Wohnen, das Projekt am ›Nonnenbuckel‹ und, wie erschwingliche Mieten bei steigenden Kosten noch möglich sind. Berührte Heimat Bauen in Heilbronn – die Stadtsiedlung und ihre Projekte 0 7 . r N x i n a H Hanix: Vor über 160 Jahren begann die Geschichte der Stadtsied- lung mit dem Bau von ein paar Arbeiterwohnungen. Was sind die aktuellen Geschäftsbereiche der Stadtsiedlung? Dominik Buchta: Die Stadtsiedlung Heilbronn ist mit aktuell 4.000 Wohnungen der größte Wohnraumanbieter in Heilbronn. Unsere Kernaufgabe ist die Wohnraumversorgung für breite Be- völkerungsschichten mit bezahlbarem Wohnraum. Das, was uns momentan am intensivsten beschäftigt, ist die Erweiterung un- seres Wohnungsbestandes in Heilbronn. Wir wollen bis 2025 auf 4.500 Einheiten anwachsen. Als Partner der Stadt entwickeln wir Infrastrukturprojekte, wie z.B. die Kita im ›Neckarbogen‹ und unterstützen die städtische Wirtschaftsförderung durch die Weit- erentwicklung des ›Zukunftsparks Wohlgelegen‹. Aktuell sind wir mit den Planungen für die neue IFH beschäftigt, die dort zukünftig das bisherige Angebot um Büroflächen für Start-up-Firmen ergänzt. Vielerorts übersteigt der Bedarf insbesondere an bezahlbarem Wohn- raum das aktuelle Angebot. Besonders für Menschen mit geringem Einkommen ist das ein Problem. Wie bewerten Sie die derzeitige Lage in Heilbronn? Im preisgünstigen Marktsegment deckt das Angebot die Nach- frage nicht mehr. Hier muss gezielt auf ein breiteres Angebot hinge- arbeitet werden. Die Stadtsiedlung tut dies durch ihr Mietenkonzept für den Gesamtbestand. Etwa 90 Prozent unserer Wohnungen sind als preisgünstig einzustufen, die durchschnittliche Kaltmiete liegt bei 6,46 Euro pro Quadratmeter. Knapp 25% unseres Bestands besteht aus geförderten Wohnungen, die Personen mit Wohnberech- tigungsschein vorbehalten sind. Diesen Wohnberechtigungsschein für eine Wohnung mit 90m2 erhält beispielsweise eine vierköpfige Familie, wenn sie ein Bruttoeinkommen von knapp 69.000 Euro nicht überschreitet. Als einer der Hauptakteure im ›Aktionspro- gramm Wohnen‹, das Teil des städtischen Handlungsprogramms Wohnen ist, errichten wir im Rahmen unserer Selbstverpflichtung bei Neubauvorhaben in der Regel zwischen 30 und 40% geförderte Wohnungen, bei einzelnen Bauvorhaben kann die Quote auch auf 100% steigen. Bei geförderten Neubauwohnungen starten wir mit Mieten ab ca. 7,50 €/m2. Im gehobenen Preissegment – ab 12 €/m² – besteht momentan ein ausreichendes Angebot. Wohnungen müssen gebaut werden. Wenn ein erhöhter Bedarf besteht, werden Grundstücke, Bautätigkeiten und dergleichen teurer. Wenn alles teurer wird, wie können Sie sozial verträgliches Wohnen realisieren? Ja, in der Tat ist das eine unserer größten Herausforderungen. Die Baukosten sind in den letzten sieben Jahren um circa 30% gestiegen, ebenso sind die Preise für Infrastruktur, Gas, Wasser, Strom auch in die Höhe geklettert. Dabei bewegen sich die Miet- steigerungen auf dem Niveau der Inflation. Man verkennt das immer wieder, auch in der politischen Diskussion – hier muss man wirklich ganz genau hinschauen. Ein Lösungsansatz für kostengünstiges Bauen ist neben dem Ziel, möglichst kompakte Wohnungen zu erstellen, sicherlich die Verwendung von modularen bzw. seriellen Bauweisen. Auch die Anpassung des Landeswohn- raumförderprogramms im April 2020 wirkt sich deutlich positiv auf die Realisierung geförderten Wohnraums aus. Ist das serielle und modulare Bauen hier eine Lösung? Diese Konzepte sind ein wichtiger Baustein für mehr be- zahlbaren und zeitgemäßen Wohnraum und wir beschäftigen 26 Moderne Architektur im neuen Wohngebiet Nonnenbuckel Visualisierung: JSB Stuttgart GESELLSCHAFT

Geschichte des Wohnens in Heilbronn. Von Joo Peter Vom faulen Gebälk zum Kunstwettstreit 1 2 3 Ein alter Heilbronner erzählt mir sehr lebendig über die alte Fischergasse, die baufälligen Häuser seien »voller Ungezie- fer« gewesen. Die kleinen Straßen nahe am Fluss waren der Wohnort der armen Leute. Straßennamen wie ›Gerbergasse‹ und ›Metzgergasse‹ erinnern noch daran. Von dort kamen auch meine eigenen Vor- fahren, die mit Lederverarbeitung zu tun hatten, Schuhe und Pelze herstellten. Aus dem Kirchbrunnen flossen fast 1000 Liter in der Minute, es floss am Fleischhaus vorbei. Dahinter, an der Fischergasse, stand lange der einzige Abort der Stadt mit fließen- dem Wasser. Bei Hochwasser spülte es die Misthaufen durch die Gasse. Foto 1: Fischergasse mit Aborthaus, Fotograf unbekannt, StA Hn Die Oberschicht wohnte weiter nördlich. Die Klostergasse war einst eine bessere Wohnge- gend mit stolzen Fachwerkbauten. Das alte jüdische Viertel zwischen Fruchthaus und Georgsbrunnen wirkt fast wie ein Puffer zwischen den sozialen Klassen. Foto 2: Fachwerkbau in der Kloster- gasse, in der mittelalter- lichen Stadt wohnte hier die Oberschicht, StA Hn In der Klostergasse stand auch das Haus der Familie Cluss, ein alemannischer Fachwerk- bau mit tiefem Weinkeller. Die Geschichte der Familie mit ihrer Entwicklung von Wein- bauern zu Architekten und Städtebauern erzählt den Wandel der Wohnkultur. Die Eisenbahn erreichte Heilbronn als eine der ersten Städte in Süddeutschland und trieb die Industrialisierung voran. Die ersten Fabriken bohrten das Grundwas- ser an, der Kirchbrunnen versiegte bereits Mitte des 19 Jahrhunderts. Das Bürgertum drängte aus den Grenzen der mittelalter- lichen Stadt, baute Villen mit Gärten. Die Wohnverhältnisse der Arbeiter blieben beengt, die sanitären Anlagen schlecht. Bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts würde es dauern, bis Plumpsklos und Jauche- gruben durch Kanalisation und Kläranlagen abgelöst wurden. Immerhin: Heilbronn war die erste Stadt in Württemberg, die einen gemeinnützigen Wohnbau gründete, um für (einige) Arbeiter bessere Wohnverhältnisse zu schaffen. Zu den progressiven Kräften Heilbronns im 19. Jahrhundert gehörte auch Adolf Cluss, der in der Klostergasse geboren wurde. 0 7 . r N x i n a H 28 GESELLSCHAFT

Heilbronn hat sich in den letzten Jahren in seiner Wirtschafts-, in seiner Bevölkerungs- struktur und damit auch im Bedarf von Wohnungen stark verändert. Prägten vor allem Betriebe der Metallverarbeitung, insbesondere solche des Maschinenbaus, der Autoindustrie sowie deren Zulieferer die Industriestruktur sowie das Angebot an Arbeitsplätzen, so hat deren Anteil abgenommen. Weipert, Amos, Fiat, Kaco u.a. gibt es nicht mehr oder sind aus Heilbronn weggezogen. An deren Stelle als größter Arbeitgeber ist der Lebensmittelhandel getreten, Lidl, Kaufland und Schwarzstiftung. Bestimmte die Hochschule, jahrelang Fach- hochschule genannt, die Heilbronner Hochschullandschaft, so haben sich inzwischen eine ganze Reihe von Hochschulen und Bildungseinrichtungen bis zu einer Universität in Heilbronn niedergelassen. Von ›AK Wohnen‹ Schwarmstadt – Wo lässt sich der Schwarm nieder? Zu wenig Wohnungen für immer mehr Einwohner Die Zuwanderung in die Stadt Heilbronn ist hoch und ihre Ein- wohnerzahl wächst seit 2010 beständig. Andererseits hinkt das Angebot an Wohnungen in Heilbronn hinter der Bevölkerungszu- nahme hinterher: Die Einwohnerzahl wuchs von 2010 bis 2018 um 10.583 Personen (9 %) an. Der Wohnungsbestand dagegen stieg im selben Zeitraum nur um 3.048 Wohnungen (5,3 %). Die Bevölke- rungsprognose der Stadt Heilbronn (Quelle: Bevölkerungsprognose 2015 – 2035 der Stabsstelle Stadtentwicklung und Zukunftsfragen) rechnet damit, dass Heilbronn im Jahr 2027 ein Maximum von 132.223 Einwohner erreichen wird und somit um weitere rund 3.600 Einwohner wachsen könnte. Das Einwohnerwachstum stellt Heilbronn aber auch vor große Herausforderungen, insbesondere im Bereich Wohnen. Besonders die Zuwanderung hat Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Der größte Anteil der Zuwanderer befindet sich in der jungen Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren und bildet sogenannte Starterhaushalte. Sie treten zumeist als Single- haushalte, teilweise auch als junge Paare auf dem Wohnungsmarkt 0 7 . r N x i n a H auf. Hierunter befinden sich viele studentische Haushalte, deren Anzahl mit dem weiteren Aufbau an Studierendenplätzen weiterhin zunehmen wird. Die Zahl der Studierenden hat sich in Heilbronn laut dem statistischen Landesamt von 4.163 im Wintersemester 2006/07 auf über 8500 Studierende in 2018/19 mehr als verdoppelt. Sie wird Prognosen von 2016 entsprechend weiter auf 10.000 Studierende allein auf dem Bildungscampus anwachsen. Neben der großen Zahl von Studierenden gibt es weitere Bevölkerungsgruppen, die Kleinwohnungen suchen: sogenannte ›Starterhaushalte‹, junge Singles oder junge Paare zwischen 18 und 30 Jahren; berufstätige mit Familienwohnsitz in anderen Städten, aber Arbeitsplatz in Heilbronn; alleinlebende Senior*innen. Wohnungen oder Renditeprojekte Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes DSW, erklärte schon im November 2017: »Der freie Markt kann die fehlenden Wohnkapazitäten für Studierende nicht schaffen, noch will er es. Die vermeintlich für Studierende neu entstehenden, privaten Luxus-Apartments gehen an der finan- ziellen Lebensrealität von hunderttausenden Studierenden vorbei, oft zielen sie aufgrund der fehlenden Belegungsbindung vielmehr auf gut verdienende Young Urban Professionals. Was Studierende jedoch brauchen ist preisgünstiger, bezahlbarer Wohnraum.« Auch in Heilbronn ist diese Entwicklung bei den Wohnungen für Studierende zu beobachten. Zwar wurden seit 2011 155 Wohn- heimplätze pro Jahr in Betrieb genommen, so dass der Bestand bis 2019 auf 1.850 Wohnheimplätze für Studierende angewachsen ist. Und bis 2023 soll der Bestand an Wohnheimplätzen bzw. an Boardinghouse-Apartments auf rund 3.350 Plätze ansteigen, wie im ›Bericht zur Bautätigkeit der Stadt HN‹ aufgeführt wird. Dort heißt es: »In 2020 werden rund 550 Mikroapartments für temporäres Wohnen u.a. für Studenten citynah fertig gestellt. Weitere 1.500 Mikroapartments (Urban Living, Schmollerstraße mit 239, W27, Wilhelmstraße mit 212 und auf dem ehem. Dinkelacker-Areal an der Sülmerstraße mit ca. 100 Mikroapartments) sind projektiert und werden in den Folgejahren realisiert, so dass die Zahl der Wohnheimplätze zukünftig bei rund 3.350 Plätzen liegen wird. Dies wird die Nachfragesituation vor allem nach kleinen Wohnungen etwas entspannen.« 30 Grafik: Wohnungsgröße nach Anzahl der Räume und Haushalte nach Anzahl der Personen Bericht zur Bautätigkeit in der Stadt Heilbronn, Heilbronn 2018, S. 15.; www.heilbronn.de GESELLSCHAFT

In einem einzigen Kopf kann so unfassbar viel los sein. Es grenzt an Wahnsinn. Um dem kompletten Irrsinn zu entkommen und mich nicht eines Tages komplett in Wolkenkuckucksheim zu verlieren, dürfen die Gedanken jetzt raus. Also, Bitteschön: Willkommen in meinem Kopf. Von Maike Endresz, Foto: Ulla Kühnle Du wohnst wie du bist Tag 3. Es könnte allerdings mal jemand Tag 1. Herrlich. So schön, Zuhause zu sein. Ich mag, wie wir wohnen, hier ist es voller Liebe und das macht es wunderbar. Mehr braucht es nicht. Tag 2. Dankbarkeit. Das ist, was ich empfinde. Dankbarkeit dafür, dass ich hier in Sicherheit wohnen kann und keine Angst haben muss. aufräumen. Tag 4. Poah. So nervig alles. Und die Hun- dehaare... die sind überall. Tag 5. Manno. (Seufzer). Warum sieht es aus wie bei Hempels? Warum ist das Mö- bel-Arrangement wie im Second-Hand-Kauf- haus? (Antwort: weil es von dort stammt.) Ich werd bekloppt. Tag 6. (Schluchzer) ...Wie's hier aus- sieht!! Und ÜBERHAUPT. Da! Socken! Es liegen Socken rum. Und ich will hier nicht wohnen, das ist hier voll alter Dämonen. Die Fenster sehen aus... Fuck, ey. (Weiterer Schluchzer) Ich will aufs Land! Tag 7. Hm. Weiß nicht. Geht so. Ir- gendwelche Ambivalenzen in mir? Nö, 'türlich nicht. Tag 8. Ach. Echt mal. Wir können so glücklich sein, dass wir überhaupt wohnen, allein und frei darüber entscheiden können, alles allein hinkriegen (also ausser aufräu- men) und ein Zuhause haben. Später, an Tag 8. Wann ist es eigentlich ein Zuhause? Wann wohnt man nur und wann lebt man? In seiner ursprünglichen Form bedeutete das Wort ›Wohnen‹ einst im Frieden bleiben, zufrieden und geschützt sein. Einspruch: Das trifft nicht immer zu! Wir stellen fest: in meinem inneren Gehäuse ist eine Menge los. Und offenbar ist mein ›in-mir-wohnen‹ eng verknüpft mit dem ›äußeren wohnen‹. Will sagen, ruhe ich in mir und bin ich zufrieden und ausgegli- chen, dann ist es ziemlich schnuppe, wie es um mich herum aussieht. Die Zufriedenheit meiner Wohnsituation gegenüber verändert sich aber quasi linear mit meiner inneren (Un-)Ordnung. sein. Wohnen bedeutet nicht immer leben. Es ist nicht immer Frieden und Sicherheit. Und befriedigt nicht zwangsläufig die menschli- Und: Wohnen ist nicht gleich zuhause chen Grundbedürfnisse. Manche Menschen sind wie gefangen, dort, wo sie wohnen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Dann ist es kein Zuhause, sondern eine echte Gefahr für Körper und Seele. Und das passiert, statistisch betrachtet, hinter jeder dritten Tür! Viele können mit wenig sehr glücklich sein, vermutlich, weil sie in sich selbst glück- lich und verwurzelt sind. Einige schaffen es, trotz, oberflächlich betrachtet perfektem Wohnumfeld, nicht, zufrieden zu sein und brauchen immer mehr. Ich orakel mal, dass damit andere Löcher gestopft werden, also seelische oder welche im Herzen. Andere können nicht (mehr) alleine wohnen, sind auf die Hilfe anderer ange- wiesen, dürfen nicht frei entscheiden, wo oder wie sie leben wollen. Dann wird das Wohnen zu einem ganz besonders kost- baren Gut. Meine Oma, die 97 Jahre alt wurde, knipste selbst ihren Lebenswillen aus, als es hieß, sie könne nicht mehr in ihrer Wohnung bleiben. Ich finde das sehr bezeichnend. Und wenn ich jetzt an die vier Wände meiner Oma denke, dann rieche ich ihn heut noch, diesen einzigartigen Geruch, das ist atemberaubend und fühlt sich sehr muckelig an. Olfaktorisches Gedächtnis oléolé. Wenn meine Tochter nach längerer Zeit nach Hause kommt, zieht sie kräftig die Luft durch die Nase, verschließt ge- nießerisch die Augen und seufzt: »Endlich zu Hause!« Das ist wie warmer Kakao übers Herz geleert, denn es bedeutet, dass sie sich hier geliebt und beschützt fühlt. Oh yes. Vielleicht muss deshalb auch ihr Zim- mer nicht aufgeräumt sein? Das letzte Mal, als ich die ominöse obere Etage betreten habe, sah es zumindest ziemlich nach auf- geplatztem Kissen aus. Die Holztreppe im Flur ist der Aufstieg in ein Off, das Teenager verschwinden und verwildern lässt. Keine Ahnung was da so passiert, lebt oder wächst, ob es da inzwischen ein Portal gibt oder einen Käsebrotriesenschimmelpilz, der ihre Gehirne manipuliert. Ich habe mich damit abgefunden, in der Hinsicht ein wunderbares Vorbild abzugeben, denn ich habe in ihnen meine Meister der Unordnung gefunden. Knicks und tiefe Verbeugung. Denn, Hand aufs Herz, so wie es in meinem Kopf immer pingpongartig drunter und drüber geht, so sieht es auch bei mir zuhause aus. Mal mehr, mal weniger, je nach innerer Wohnerei. Mein Interieur Design ist der Spiegel meiner Seele. Aber, hey - jedes Mal, wenn jemand zu uns kommt, heißt es: »Oh, das ist aber schön hier. So gemütlich. Und man sieht, dass hier gelebt wird«. Ich lache, denn das 0 7 . r N x i n a H 32 KOPFKINO

Die Künstlerin JUSTYNA KOEKE setzt sich in ihren Arbeiten vor allem mit feministischen und sozialpolitischen Themen auseinander und nutzt den nackten, weiblichen Körper in der Öffentlichkeit regelmäßig, um Kritik an bestehenden Verhältnissen zu üben. Sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen Bildender Kunst und Mode. Eine Trennung zwischen Lebens- und Arbeitsraum gab es für sie bislang nie. Ein Atelierbesuch. Von Kathrin Stärk Foto: Joel Miller Micah 0 7 . r N x i n a H Kunst ist Teil des Lebens Das Konzept, Wohnen und Arbeiten zu verbinden, kennt die 44-Jährige schon ihr ganzes Leben. Justyna Koeke wurde in Krakau geboren und wuchs in einem Künstlerhaushalt auf. Der Vater war Or- chestermusiker an der Oper und schnitz- te, die Mutter war Bildhauerin. Auch ihre fünf Schwestern sind Künstlerin- nen oder Musikerinnen geworden. »Das Wohnen-und-Arbeiten-Modell lebten schon meine Eltern. Das habe ich 1:1 übernom- men, auch ihren Pragmatismus«, sagt sie. »Mama hat zu Hause auf dem Küchentisch riesige Kirchenfenster entworfen. Im Kom- munismus ging das nicht anders«, erinnert sie sich. Stundenlang saßen die Mädchen bei Orchesterproben, Justyna entwickelte eine Faszination für das Opernhafte, die Schönheit, die Kostüme herausholen. Während des Studiums wird sie schwanger und bekommt einen Sohn. »Ich musste ihn ins Atelier mitnehmen«, erinnert sie sich. Ihr Arbeitsrhythmus richtete sich nach dem Baby: »Ich habe jede Sekunde genutzt, wenn er schlief.« Eigentlich stu- dierte sie ›Freie und Angewandte Keramik‹ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, wo sie seit 2005 in der Medienwerkstatt in der Fachgruppe Kunst lehrt. Doch Staub, Glasuren, all das war kein optimales Umfeld für einen Säugling. »Ich brauchte ein Material, das andere Menschen ertragen können. Deshalb kam ich zu Tex- til.« Eine sehr pragmatische Lösung, die natürlich auch Einfluss auf ihre Arbeit und Produktionsinfrastruktur hatte. Nähen kann sie seit ihrem sechsten Lebensjahr. Stoff lag also als Alternative auf der Hand. In den ersten Jahren, als sie anfing mit Stoff zu arbeiten, entstanden viele Objekte. »Ich kam ja von der Keramik, deshalb war das sehr skulptural, dann kam der menschliche Körper dazu.« Ein weiterer Vorteil: »Es ist eine schnelle Technik im Vergleich zu anderen Materialien. Bei Metall kämpfst du regel- recht mit dem Material. In meinen Arbeiten 34 KULTUR

Mobilität als Lebensstil. »Der moderne Nomade verkörpert das urbane Mindset«, so ein Zukunftsinstitut, das weiter schwärmt: »Das Café wird zum Arbeitsplatz, die Straße wird zum sozialen Treffpunkt«. Wie gesund ist häufiger Wohnungswechsel? Ein Erfahrungsbericht als Plädoyer wider die Romantisierung des urbanen Nomaden- Daseins. Von Leonore Welzin, Foto: Shuji Terayama Nix wie gewohnt 0 7 . r N x i n a H Sag mir, wo du wohnst und ich sag dir, wer du bist – nach dem Abi lockte mich ein Jobangebot nach Italien. Ich kannte den Gardasee, bis Rom hatte es mich noch nicht verschlagen. 14 Tage plus eine Woche Urlaub in der ewigen Stadt! Und das mit einer Superadres- se: der Villa Massimo! Als Babysitter für sieben Künstlerkinder – darunter die Söhne von Peter O. Chotjewitz, kindliche Anarchos, Janine, die Tochter von Karin, Enkelin von Oskar Schlemmer, eine kapriziöse Fünfjährige und ein sechsmonatiges Baby des Architekten Arnold Kircher. Nach Reifeprüfung also der Praxistest. Flugticket besorgen und nix wie hin! Ein Park, ein Garten, mediterranes Ambiente hinter Mauern, geräumige Ateliers, verhältnis mäßig kleine Wohn- und Schlafräume, eine gut ausgestattete Küche – unmittelbar stellte sich ein ent- spannt großbürgerliches Lebensgefühl ein, das, dank der Kinder, die bekocht, unterhalten und rund um die Uhr versorgt und bespaßt werden wollten, wenig Zeit ließ, sich ins privilegierte Dasein fal- len zu lassen. In meiner Erinnerung war es ein idealer Ort, genau richtig für drei schöne Wochen, um Kultur zu inhalieren, Ästhetik zu tanken und um das Privileg als solches zu schätzen. Mental gestärkt stürzte ich mich ins Studentenleben: Lilaler- chenfeld! – Der Ruf der Hamburger Kunsthochschule am Lerch- enfeld hallte bis in den tiefen Süden, klang verlockend und ich wurde aufgenommen! Wohnungssuche war angesagt. Zu spät für ein Zimmer im Studentenheim, fand ich eins in der Langen Reihe (St. Georg), dann eins in einer WG in unmittelbarer Nähe des Lerchenfel- des: Mühlendamm 47; zwei Etagen drüber wohnte Hansi »James« Last, der die Kunststudentinnen gern zu seinen Partys einlud. Zuviel Ablenkung. Ich fand eine bezahlbare Miniwohnung in Altona, lebte nun solo in der Bahrenfelder Straße, immerhin mit eigener Toilette, allerdings ohne Bad oder Dusche. Das Haus stammte aus einer Zeit, als es üblich war, ins öffentliche Badehaus zu gehen, was ich tat. Es folgten zwei Intermezzi, eins als Selbstversorgerin in einem Gartenhaus in Wandsbek, ein weiteres in einer Atelier- wohnung in einem Hinterhof mit sehr aufmerksamen Bewohnern im Vorderhaus. Ihr Verdacht, dass sich die RAF im Hinterhof-Idyll ein konspiratives Nest eingerichtet hätte, bestätigte sich nicht. In meiner Abwesenheit hatte die Polizei die Wohnung durchsucht. Zwei Freunde hatten in Hamburg-Ottensen eine Zimtmühle gekauft, im Vorderhaus waren zwei Wohnungen frei – mit gemein- samer Küche und gemeinsamem Bad. Von nun an teilte ich das Domizil Kirchentwiete 37 mit drei schwu len Freunden. Zimtdüfte mischten sich mit dem Holzgeruch alter Dielen, neu geschliffen, und einer frischen Brise von der Elbe. Mit dieser wehten auch Künstler und Promis ins bescheide ne Heim. »Eine Wohnung schöner als ein Bühnenbild von Winfried Minks«, fand nicht nur ein renommierter deutscher Kritiker, der damals auf Brautschau war, auch der Surrealist Shuji Terayama machte mit seiner japanischen Underground-Theatergruppe aus der Zimtmühle eine Opiumhöhle. Das zehnjährige Intermezzo in Hamburg, das mit Schuldienst in einem Hamburger Gymnasium seinen Abschluss fand, rundeten noch zwei Jahre in der Beletage der Papenhuder Straße ab, Film- publizist Wolf Donner wohnte im selben Haus, zwei Häuser weiter die Schauspielerin Eva Matthes. Den repräsentativen Wohnsitz mit Promi-Faktor ver dankte ich, als Untermieterin, einer Freundin, ebenfalls Studienrätin. Sie lebt noch heute dort. Abgesehen von Bauernhäusern, die ich für Künstlerfreunde jeweils einige Monate hüte te, empfand ich sieben Adressen in 36 KULTUR

Auch Häuser und Straßennamen erzählen Geschichte und Geschichten einer Stadt. In Heilbronn ist eine davon die Werderstraße, Teil eines historischen Quartiers, geplant als Arbeiterwohngebiet, benannt nach einem preußischen General. Dazu zählen auch die Happel- und Ludwig-Pfau-Straße, nach Heilbronner Ehrenbürger benannt, die Schmollerstraße heißt nach dem in HN geborenen Nationalökonom Gustav von Schmoller, die Uhlandstraße nach dem Dichter Ludwig Uhland. Hier, im Keller der ehemaligen ›Uhlandslinde‹ wurde der ›Cave 61‹ gegründet, einer der ältesten und renommiertesten Jazzclubs in Deutschland, benannt nach dem Gründungsjahr. Die Happelstraße ehrt den Kaufmann Wilhelm Happel für seine 30-jährige Tätigkeit »in den bürgerlichen Kollegien der Stadt«. Häuser, Straßen und ihre Namen sind nicht nur Schall und Rauch, sie sind Wohnorte eines kollektiven Gedächtnisses, materielles und ideelles Kulturerbe einer Stadt, gerade dann, wenn ein schrecklicher Krieg so wenig von ihr übrig ließ. Von Brigitte Fritz-Kador, Foto: Nico Kurth Werderstraße – Geschichte und Geschichten 0 7 . r N x i n a H Ein Dichter beschreibt einen anderen: Büchnerpreisträger F.C. Delius tat es über Ernst S. Steffen in seinem 1975 erschienen Buch ›Ein Bankier auf der Flucht‹. Fünf Jahre nach dessen Tod erzählt er, wie er ihm in München, im Haus des Kritikers B. begegnete, als er »die anderen Kulturmiezen« damit empörte, dass er Beethoven auflegte und nachholte »was ihn das Zuchthaus, ein prügelnder Vater und Freundinnen in Dörfern bei Bruchsal nicht hören ließen«. Und so soll er da gestanden haben, erzählt Delius in Gedichtform: »Er guckte, ließ sich auch nicht / mit Sekt und Lachs beliefern und stellte keiner / Buchhändlerin nach (ich weiß, wie sauer er war, / morgens um vier, als es ihm nicht gelang, / eine Dozentin für Politische Wissenschaften, mit der er lange korrespondiert hatte und die / sich mehr für seinen Fall als für ihn interessierte, / ins Bett zu ziehen), so stand er auf der Treppe, / von uns beschissen, sah uns zu, und das war klar / Verachtung.« Im ›Literaturhaus‹, im Trappensee-Schlösschen, ist Steffen jetzt in der Dauerausstellung präsent – er ist und war es auch in der Werderstraße. Hier hat er einen Teil seiner von Gewalt geprägten Nachkriegs-Kind- heit verbracht, hier suchte er auch, nach 17 Jahren in Heimen und in Haft, einen Ort für eine Rückkehr in die ›bürgerliche Gesellschaft‹. Die Familie lebte am ›oberen‹ oder – je nach Definition – am ›unteren Ende‹ der Straße. Heilbronner, die sich noch an Steffen erinnern, tun es im Kontext zu Hans-Dieter Hüschs Song »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder!« Die Familie galt als asozial; die von Schlägen des Vaters, eines »versoffenen Musikers«, eingedrückte Boxernase trug der gut aussehende, stets korrekt gekleidete Dichter wie ein Stigma. Das ›S.‹ in seinem Namen steht für Siegfried Unseld, die Mutter war mit dem berühmten Verleger weitläufig verwandt, das sollte betont werden. Im Knast von Bruchsal zum Poet geworden, erschien Steffens Erstling ›Lebenslänglich auf Raten‹ 1969 bei Luchterhand, dem Verlag auch von Günther Grass. Nach seiner Entlassung suchte er Kontakt zu Gleichaltrigen, die er noch aus der Werderstraße kannte, u.a. bei Rudi Fritz, damals Redakteur der Heilbronner Stimme. Er schrieb über den jungen 38 KULTUR

Sanierungsgebiet. Einen »ruhigen, geschützten Ort« fanden hier eine zeitlang auch misshandelte Frauen. Heute liest man es so in einer Immobilienanzeige: »Residenz Kaiser Otto – Topsanierte City-Wohnung im Baudenkmal«. Die Gentrifizierung ist auch in der Werderstraße angekommen. Dass sie inzwischen ziem- lich multi-kulti ist, sich Gemeinsinn entwickelt, das liegt nicht nur an der katastrophalen Parksituation, sondern auch an der fast familiären Atmosphäre der ansehnlichen, sanierten Häuser. Dieses Stück Urbanität zeigt, dass der Wohnungsbau um und nach 1900 nicht nur Villen und Wohnkasernen hervorbrachte, sondern auch bürgerliches Wohnen für die Arbeiterklasse. Die stürmische Aufwärtsentwicklung der Stadt zur 1900er-Wende hatte großes Bevölkerungswachstum zur Folge, man brauchte Wohnraum – so wie auch heute. Blickt man indes auf das gerade so massiv wie unehrgeizig überbaute Südbahnhof-Areal, sieht man ein Ghetto von morgen, auch wenn die Stadtsiedlung GmbH bemüht ist, Gemeinschaftsleben mit sozialem Zusammenhalt zu fördern. Die vom Bombenhagel des 4. Dezember weitgehend verschonte Werderstraße und Nachbarschaft boten bald die Voraussetzungen, dass sich hier gleich nach 1945 das etablierte, was man ›Kiez‹ nennt: Man kannte sich, wuchs miteinander auf, kaufte beim Metzger Fröschle oder sang »Schweinefleisch ist teuer, Rindfleisch ist knapp, da gehen wir zum Brosi, und kaufen uns Trapp-Trapp« – also Pferdefleisch. Damals wurden in Heilbronn viele Straßen umbenannt, nicht nur ›der Adolf‹ musste dran glauben; weil die Heilbronner besonderen Eifer entwickelten, traf es auch die Wer- derstraße: August von Werder war doch ein preußischer ›Junker‹ mit hohem militärischen Rang! Kurze Zeit hieß sie dann nach dem Gewerkschafter und SPD-Mann Karl Legien, leider auch ein Preuße. Rudi Fritz beschreibt in seinem Buch ›Geboren in Heilbronn‹ diese Jahre so: »Uns war das egal. Wer zur Werderstraßen-Natz gehörte, hielt zusammen, fuhr Rollschuhe oder kickte Tag für Tag vor dem Kaiser-Otto-Gebäude.« Ernst S. Steffen durfte nicht mitmachen, ›Kontaktverbot durch die Eltern‹ heißt das heute. In einem Lexikon zur Gegenwartsliteratur kann man lesen, seine Gedichte seien nicht Lyrik, sondern Erfahrung – zu seinem Leben wird er da so zitiert: »Ich könnte eine Story daraus machen und sie einen Roman nennen. Doch auf Literatur pfeife ich. Ich will die Wahrheit sagen und zeigen, dass es Wahrheit ist. Eure dreckige Welt.« Heilbronn war nicht nur ›dreckige Welt‹. Rosemarie Bronikowski, in deren Familie und Haus im Heilbonner Osten Steffen bis zu seinem Tod Halt und Unterstützung fand, hat ihr Buch über ihn mit einer Gedichtzeile von ihm betitelt: »Irgendwann wird man mich zu Ende denken«. Auch im Jahr 2020 machen Kunst und Kultur keinen Umweg um das Werderstraßen-Quartier. Schon 1898 baute Carl Dederer für den Holzbildhauer Friedrich Klenk das Eckhaus Uhlandstraße 70. Heute hat der Maler und Zeichner Peter Riek sein Atelier im Südviertel, er nennt es »wunderschön«. Der Maler und Bildhauer Michael Hieronymus arbeitet in der Werderstraße 87. Er sagt über sie: »Eine tolle Straße zum Arbeiten und Leben – vielfältig, gespickt mit wunderbaren Altbauten, die für mich eine individuelle, stilvolle Lebensart, repräsentieren und, Gott sei Dank, werden die Häuser hier teilweise hochwertig renoviert – lebendig, ein Hauch von Großstadt, nah am Zentrum der Stadt, am Neckar, am Park. Es gibt hier eine Vielfalt an Nationen, was ich sehr bereichernd finde, das Leben ist eher etwas lässiger aufgestellt, eine Atmosphäre, in der neue Dinge entstehen können – ein Glück hier arbeiten zu können. Ich habe wunderbare Nachbarn und meine Räume hier, in der alten Fabrik, sind super. Das Arbeiten an diesem Ort, in dieser Stadt, als Künstler, fühlt sich richtig an.« ◆ 0 7 . r N x i n a H und Lebensmittelgroßhandlung Tscherning. Ja, Heilbronn war ab etwa 1800 nicht nur Wein- sondern auch Kaffeestadt, Friedrich Tscherning war Mitbegründer der Neckarschleppschifffahrt – Kaffee kam damals auf dem Wasserweg. Das Haus Happelstraße 61, Teil des Kaiser-Otto-Komplexes, war nach 1945 die Notunterkunft der Gewerbeschule und auch Ort ersten kulturellen Erwachens, dies für die ›Junge Bühne‹, gegründet von dem Magdeburger Bernd Wehrmaker. Der Bühnenbildner an großen Bühnen kam der Liebe wegen nach Heilbronn. Die erste Produktion der theaterbegeisterten Profis und Laien, schon 1945, war das ›Christgeburtsspiel‹ von Max Mell; Höhepunkt der 1950 endenden Ära Georg Kaisers ›Das Floß der Medusa‹ zum 4. Dezember 1949, ein Stück über Flüchtlinge, aktuell bis heute. Bauherr der Häuser 152, 154, 155 (1905/06), war der Klavierbauer Wilhelm Schöneck, die Architekten Christian Dietz und Jakob Saame bauten noch weitere Häuser der Wer- derstraße. Wer aber kennt noch Jakob Saame? Von ihm stammen u.a. die schmucken Villen ›Binder‹ und ›Neumayer‹? Also: Warum benennt man im ›Neckarbogen‹ eine Straße nach einer Architek- tin, bedeutend, aber ohne Bezug zu Heilbronn, und nicht nach denen, die stadtbildprägend wirkten? Auch sie waren bedeutend, nicht nur Saame. Man wird es ihm heute nicht mehr verübeln, dass er einige Bauzeichnungen mit Skizzen von nackten Frauen schmückte. Ideen, auch von Architekten, schaffen Identitäten, das Südviertel beweist es. Ihr heutiges Erscheinungsbild verdanken Werderstraße & Co dem ›Europäischen Denkmalschutzjahr 1975‹ und der Novellierung des Bundesbaugesetzes von 1976. Im Rahmen »behutsamer Er- neuerung einzelner Stadtquartiere« wurde sie von 1977 bis 1981 zur verkehrsberuhigten Zone, 2004 dann das ganze Südviertel erneut 40 DIE WERDERSTRASSE

Text und Fotos: Rudolf Seitenstecher (Bad Booklet 2020) Haust Ihr schon oder wohnt Ihr noch? Wohnen im Wandel der Jahrhunderte 0 7 . r N x i n a H »Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht« sagten die Wände des alten Hauses. Der phantasiereiche dänische Dichter Hans Christian Andersen schrieb sein Märchen ›Das alte Haus‹ im Jahr 1862. Vier Pro- tagonisten begegnen uns in dieser spät- biedermeierlichen Geschichte: ein alter Herr, ein Knabe, ein Zinnsoldat und eben das in die Jahre gekommene und krumm gewordene Gebäude. Andersen schildert es als ein Gebilde aus der Vorvergangenheit mit geschnitzten Skulpturen, krummen Erkern und knarrenden Möbeln. Der Besitzer, ein alter Herr mit Allongeperücke und altmo- dischen Beinkleidern scheint ein Überbleib- sel des 18. Jahrhunderts zu sein. Der Knabe besucht ihn in seiner selbstgewählten Ein- samkeit und schenkt ihm einen Zinnsol- daten. Der kann selbstverständlich – wie so viele scheinbar unbelebte Dinge bei Andersen – sprechen und ist Vertreter der neuen Zeit. Seine Litanei erschöpft sich in »Ich kann das nicht aushalten«, das Man- tra der Wände lautet dagegen »Vergoldung vergeht, aber Schweinsleder besteht«. Auf der Seite der unbarmherzigen Gegenwart stehen auch die anderen Häuser in dieser fiktiven dänischen Stadt: »Sie dachten wohl, wie lange soll das Gerümpel hier noch der Straße zur Schande stehen bleiben. Der Erker steht so weit heraus, daß niemand aus unseren Fenstern sehen kann, was auf der anderen Seite geschieht!« Es kam wie es kommen musste: Der alte Mann schied aus dem Leben, das Haus starb. Man riß es nieder, denn es war ja für die Menschen nur altes Gerümpel, sagten die Leute. Die Möbel und Gemälde kamen zum Trödler, den Schweinslederbezug riss man heraus und trat ihn zu Boden. Mit Andersens Tod 1875 trat Mitteleu- ropa in ein neues Zeitalter: Die industrielle Revolution hatte sich breitgemacht, es wurde sehr viel und oft sehr schnell gebaut. Viele Menschen konnten von ihrem Lohn kaum leben, wenige andere dagegen verdienten so viel, dass sie es nie hätten ausgeben können. Wir verbinden diese Zeit in Deutschland mit den Namen der Industriellen Krupp, Thyssen, Siemens oder Bosch, in Heilbronn stehen dafür stellvertretend die Familien Knorr, von Rauch, Bruckmann oder Kraemer & Flammer. Da man oft aus der Enge der rußigen und krummen Altstädte gezogen war, trenn- ten sich die Wohnquartiere der Arbeiter einerseits und die Villen der Fabrikanten andererseits. Heute sind letztere interessante bauliche Dokumente ihrer Zeit und selbst das vom Krieg arg gebeutelte Heilbronn besitzt noch eine erkleckliche Anzahl davon. Die Reichen jener Jahre leisteten sich eine Wohnkultur, die nicht das originale Alte 42 Inkunabel des 21 Jahrhunderts: Die Fluchttreppe FEUILLETON

bewahrte, sondern das Neue aus Zitaten der Vergangenheit speiste: Um ja aufzufallen, scheuten sich Architekten und Bauherren nicht, mittelalterliche Ritterburgen nach- zuempfinden, toskanische Villen über die Alpen zu holen oder französisierende Stadtschlösser und englische Landhäuser zu importieren. Das nimmt nicht wunder, denn in diesen Jahren wuchs auch die Zahl der Eisenbahntrassen und Schifffahrtslinien, Fernreisen gehörten für Betuchte zum guten Ton. Was außen schon mächtig und manch- mal grotesk daherkam, setzte sich im In- neren fort. Tapeten aus üppigen Stoffen, Seide, Brokat und Damast im Übermaß, Teppiche aus den fernsten Fernen des Kau- kasus sowie feuervergoldete Kronleuchter bestimmten das Bild. Aber natürlich war nicht alles Gold, was glänzte. Misst man jedoch Grundrisse abgeris- sener oder noch vorhandenen Heilbronner Villen, kommt man oft auf eine Quadratme- terzahl von über hundert. Pro Stockwerk! So manche dieser ›Herren‹häuser fielen der Baupolitik späterer Jahre zum Opfer. Die Ar- chitekt*innen der Weimarer Republik bauten nüchterner, das Regime des III. Reichs lehnte diese ›Gründerzeit‹villen als nicht mehr zeitgemäß für den von ihnen neu zu schaf- fenden Menschen ab und die Mehrzahl der Bauherr*innen der Wirtschaftswunderzeit setzten eher auf den Wert des Grundstücks als auf die Pflege der Tradition. Wir dürfen aber die überwiegende Mehr- zahl der Bevölkerung nicht vergessen, all jene kleinen Angestellten, Handwerker*in- nen, Arbeiter*innen und Dienstbot*innen. Hatten letztere oft ein karges Zimmer im Dachgeschoss der Villa, suchten erstere sich einfache Bleiben an den Rändern der schnell expandierenden Industriestädte Heilbronn und Neckarsulm. Wie wohnte man damals? Arbeiter*innenhäuser aus der Gründerzeit haben sich wenige erhalten. Ein typisches Beispiel steht noch in Neckarsulms Spohn- straße und stammt von 1908. Wie teuer war das Wohnen vor ein- hundertzwanzig Jahren? Eine Wohnung für Arbeiter*innen mit einem Grundriss von zwanzig bis maximal fünfundzwanzig Quadratmetern lag in Heilbronn im Schnitt bei zwanzig Mark. Netto verdiente ein Ar- beiter um 1900 monatlich zwischen fünfzig und einhundertzehn Mark! Seine Ausgaben für Essen betrugen zwischen siebenund- zwanzig und vierzig Mark, für die Heizung musste er drei Mark aufbringen. Dies be- deutete, dass eine Arbeiter*innenfamilie mit zwei Kindern mindestens zwanzig Prozent für Miete ausgab und jeder Person dennoch nur sechs Quadratmeter zur Verfügung ge- standen hat. Bei fünf Kinder reduzierte sich die Fläche pro Person auf weniger als vier Quadratmeter! Dazu kam das Problem der Hygiene: Selbst in der Zeit der Weimarer Republik besaßen nur zwanzig Prozent der Wohnungen in Städten ein eigenes Bad. Der größere Teil der Bevölkerung musste sich entweder mit Gemeinschaftsbäder im Keller oder mit öffentlichen Bädern behelfen. Wenn überhaupt. Ein Zustand, der sich erst ab den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts verbessern sollte. Jammern wir Menschen des angehenden 21. Jahrhunderts über zu hohe Mieten – sie betragen im ungünstigsten Fall schon mal 35 Prozent des Nettolohns oder mehr – muss man sich aber auch vor Augen führen, dass der und die Durchschnittsdeutsche heute durchschnittlich 46,5 Quadratmeter zur Verfügung hat, mehr als das elffache jener kinderreichen Arbeiter*innenfamilien aus dem Jahre 1900. Doch auch der oder die Heilbronner*in ärgert sich heute zu Recht über Mieten und Preise für Immobilien. Vor allem die jungen Mitbürger*innen, die von den durchschnitt- lichen fünfzig Quadratmeter nur träumen. Je kleiner die Wohnung, desto teurer der Quadratmeterpreis. Bei Stichproben für Einzimmerwohnungen fanden wir hierzu- lande durchgehend Preise zwischen siebzehn und zwanzig Euro pro Quadratmeter, bei dem sogenannten ›Wohnen auf Zeit‹ zahlen Mieter*innen für möblierte Puppenstuben zwischen achtzehn und achtundzwanzig Euro pro Quadratmeter monatlich! Aber dann wenigstens architektonisch aussagekräftige, ökologisch korrekte und in Fahrradnähe gelegene Behausungen! Klar, Heilbronn hat sich in den letzten zwanzig Jahren zu seinem optischen Vorteil entwick- elt, auch ohne die in den letzten Monaten immer noch omnipräsente BUGA als Beleg heranziehen zu müssen. Besucht man als Flaneur aus Franken die Stadt am Neckar regelmäßig, kann man sich davon mit ei- genen Augen überzeugen. Überall Fahrräder, junges gemeinschaftliches Wohnen in vielen Stadtteilen, Nähe zum ÖPNV sowie ein Nachhaltigkeitsmanagement bei der Stadt. Aber architektonisch aussagekräftig? Wohl eher nicht! Spaziergänge durch Neckar- sulms Innenstadt oder entlang Heilbronns südlichen Ausfallstraßen verdeutlichen dies. Der architektonische Kanon der letzten Jahre hat sich nach dem Ende der Postmo- derne wieder hinter austauschbaren Mus- tern versteckt: Mehrstöckige, äußerlich glatte Mehrfamilienhäuser aus den beliebten Materialien Beton, Stahl und wenig Glas. Die ausführenden Architekten heute ver- wechseln oftmals schnörkellose Architektur mit der Diktatur des rechten Winkels, wie sie der Betonfetischist Le Corbusier schon vor achtzig Jahren propagiert hatte. Wenn auch die Entwerfer ihre Produkte mit dem Prädikat ›Im Bauhausstil‹ anpreisen, sind sie oft nichts mehr als lang- oder hochgezo- gene kubische Klötze. Aneinandergereiht wie Soldaten die Balkone, Schießscharten gleich die Öffnungen. Und die Fenster erst! Waren sie in früheren Jahrhunderten die Augen des Hauses, sind sie nunmehr kalt starrende Sehorgane ohne Brauen, Wimpern und Pupillen. Hätten die Wände heute noch eine Meinung und könnten sie sprechen wie bei Hans Christian Andersen, seufzten sie jetzt laut: »Ich kann das nicht aushalten«. Und es muss ja nicht immer eine Vergoldung sein, aber ein bisschen Schweinsleder täte wieder Not. ◆ 0 7 . r N x i n a H 44 Wohnen einstmals WOHNEN IM WANDEL

Im Sommer 1991 errichtete die Künstlergruppe BMP an den beiden Neckarufern „Erdkeil-Erdhaus“ unterhalb der Heilbronner Götzenturmbrücke die Installation „Erdkeil-Erdhaus“. Schon damals lenkten Detlef Bräuer, Karl May und Uli Peter dadurch den Blick auf den Fluss, die Lebensader der Stadt. Mit der Bild-Text-Collage in Form BMP-typischer Assoziationsketten erinnern die Künstler auf dieser Doppelseite hier an die vielfältigen Aspekte und mutmaßlichen Folgen von „Erdkeil-Erdhaus“. „Erdkeil-Erdhaus“ 0 7 . r N x i n a H 46 FEUILLETON

Die Stadt Heilbronn hat einen Überhang an Wohnungsnachfragen zu stemmen. Sie kommt dem nicht nur nach durch den Neubau ganzer Stadtviertel und Nachverdichtungen. Zudem wird immer wieder auf die nahegelegen Nachbargemeinden im Landkreis verwiesen. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für den dortigen Wohnungsmarkt. Welchen Blick haben die Nachbargemeinden auf die Stadt Heilbronn, welche Herausforderungen haben Sie zu gewärtigen und welche Lösungen lassen sich finden? Von Annette Wenk Es wird ganz schön eng im Kreis 0 7 . r N x i n a H Probleme am Wohnungsmarkt lassen sich nur gemeinsam lösen Heilbronn, die Schwarmstadt. Die Reaktion auf diesen Begriff reicht von Schulterzucken bis zu Begeisterung. Ganz konkret hat er sich aber durchaus schon etabliert und verleiht der Stadt einen positiven Imagepunkt. Auch die Stadt Heilbronn führt einige der Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt auf genau dieses Phänomen zurück. »Heil- bronn zählt zu den jungen Schwarmstädten« zitiert der Bericht zur Bautätigkeit in der Stadt Heilbronn, den die Stabsstelle Stadt- entwicklung und Zukunftsfragen veröffentlicht 1 . Die Schwarmstadt wird definiert durch den Zuzug vieler junger Menschen, die zum Studieren oder Arbeiten in die Stadt kommen. »Das Phänomen des Schwarmverhaltens ist selbstverstärkend; das heißt mit jedem Umzug junger Menschen in die Schwarmstadt Heilbronn nimmt die Dichte an jungen Haushalten zu.« In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass in der Altersgruppe zwischen 18 und 30 Jahren in den letzten Jahren die höchste Zuwanderungsrate zu verzeichnen ist, erklärt Thomas Hille, der den Bericht erstellt hat. Aber auch über alle Altersgruppen verzeichnet der Stadtkreis Heilbronn insges- amt einen positiven Zuwanderungssaldo von 7.436 Menschen im Zeitraum von 2015 bis 2019. Den höchsten Anteil daran hat der Zuzug aus dem europäischen Ausland. »Die Zuwanderung in die wirtschaftsstarke Stadt Heilbronn ist weiterhin hoch«, stellt der Bericht fest. »Die Außenwanderung fiel im Saldo wie bereits in den Vorjahren positiv aus. Neben den zahlreichen Arbeitsplätzen sind die hochwertigen Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten Anziehungspunkte für die Zuziehenden. Der Nahwanderungssaldo hingegen liegt im negativen Bereich. Unter anderem führt der angespannte Wohnungsmarkt dazu, dass einige Menschen aus dem Oberzentrum Heilbronn in die Umlandgemeinden ziehen. So profitieren auch die umliegenden Gemeinden von der Anziehungskraft und dem Wachstum der Stadt Heilbronn und übernehmen damit eine Entlastungsfunktion für den Heilbronner Wohnungsmarkt.« Wiederum in Zahlen bedeutet dies, dass von 2015 bis 2019 unter dem Strich 1.226 mehr Menschen aus Heilbronn in den Landkreis gezogen sind als umgekehrt. Fliegt hier ein Schwarm in die andere Richtung? Kaum Gefälle mehr zwischen Stadt und Landkreis Die Gemeinden im Umland bekommen diese Verschiebung deutlich zu spüren. Besonders gefragt sind Leingarten und Flein. Der Leingartener Bürgermeister Ralf Steinbrenner erlebt diese Bewegungen schon seit einigen Jahren. »Wir haben automatisch immer Wanderungen zwischen dem Landkreis und dem Stadtkreis«, sagt er. »Das ist ganz normal.« Durch die Stadtbahnverbindung hat sich die Attraktivität von Standorten wie Leingarten aber nochmal deutlich erhöht. Das ist auch an den Preisen abzulesen. »Vor 20 Jahren hatten wir noch einen deutlichen Unterschied im Mietniveau«, blickt der Bürgermeister zurück. »Heute hat sich das in Wohlgefallen aufgelöst.« Die Preise für Mieten und Bau- land haben sich weitgehend der Stadt Heilbronn angeglichen. Ein Phänomen, das Ralf Steinbrenner auch aus dem Austausch 48 WIRTSCHAFT

MORGEN GEHÖRT UNS ALLES IST EINS. AUSSER DER 0. Eine neue Generation kleiner Revolutionäre wächst heran. Den unbedingten Willen der Kinder, die Welt zu verändern, mitzuerleben ist anrührend und inspirierend zugleich. Gilles de Maistre weiß diese Kraft, diese Fröhlichkeit und Energie der Kinder in seinen wunderbaren Bildern einzufangen. Ein Film, der Pflicht sein sollte für alle, die schon resigniert haben. Und für alle anderen natürlich auch. »Gilles de Maistre erzählt eine begeisternde Geschichte von kindlichen Revolutionären, die uns buchstäblich aus den bequemen Sesseln reisst.« (film.at) ›Alles ist eins. Ausser der 0.‹ erzählt eine Geschichte digitaler Subversion: vom exklu- siven Club zu einer Instanz, die heute bei allen Fragen der Netzpolitik zu Rate gezogen wird. Der Dokumentarfilm von Klaus Maeck und Tanja Schwerdorf setzt der bekanntesten deutschen Hackervereinigung ein stilsicheres, kraftvolles und würdiges Denkmal. Selten hat man ein so eindringliches Portrait über Zeitgeist-Pioniere gesehen, deren Weitblick für die Gegenwart so beeindruckend wie be- reichernd ist. In den Arthaus-Kinos ab 3. Dezember 2020 Frankreich 2019, Länge: 84 Minuten FSK: 0 Regie: Gilles de Maistre Es sind Kinder aller Herren Länder, und sie kämpfen für ihre Überzeugungen und eine bessere Zukunft. Sie heißen José, Arthur, Aïssatou, Heena, Peter, Kevin und Jocelyn. Obwohl sie Kinder sind, haben sie ihren Blick geschärft für das, was um sie herum nicht stimmt. Ob Umweltverschmutzung oder fehlende Schulbildung, Obdachlosigkeit oder Kinderehen – sie lassen sich von keinem sagen, dass sie zu klein, zu machtlos oder zu unwissend sind, um gegen die allgegenwärtigen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Die Zustände, unter denen sie leben, mögen beängstigend sein, doch ihr Lebensmut und ihr untrügliches Gefühl für Gerechtigkeit sind stärker. Woher nehmen diese Kinder den Mut, aufzubegehren? Woher kommen ihre Ideen, die so erstaunlich wie unkonventionell sind? Mit ihrer unglaublichen Charakterstärke und ihrem Mut schaffen es die Kinder, Erwachsene zu überzeugen und in ihnen Unterstützer zu finden. Regisseur Gilles de Maistre (›Mia und der weisse Löwe‹) gibt diesen bemerkenswerten Kindern mit seinem Dokumentarfilm eine Plattform. ◆ In den Arthaus-Kinos ab 14. Januar 2021 Deutschland 2020, Länge: 90 Minuten FSK: ab 6 Jahren Regie: Klaus Maeck, Tanja Schwerdorf 0 7 . r N x i n a H Sie sind Aktivisten, Spione, Genies: Ohne die Hacker schiene uns die schöne bunte, digitale Informationsgesellschaft als bestmögliche aller Welten. Sie sind die Aufklärer, die der blinde Glaube an die mehr oder weniger sozialen Netzwerke nötig hat. Am Anfang der Hacker-Kultur stand Deutschlands erster digitaler Bürgerrechtler: Wau Holland ist der Visionär einer demokratischen, digitalen Kultur. 1981 gründete er mit einer Handvoll Mitstreitern den Chaos Computer Club (CCC), der durch spektakuläre Hacks und später durch Verstrickungen mit den Geheimdiensten weltbekannt wurde. Wau Holland und der CCC stehen für eine Praxis des ungehinderten sozialen Aus- tauschs mit den Mitteln der Maschine. Digitalisierung ist für sie nicht nur Heilsbringer, sondern eine Regierungstechnik, von der nichts weniger als der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft abhängt. Vom Computer-Nerd zum Datenkünstler, vom Einsiedler zum Medienstar, vom subversiven Hacker zum Verfechter der Demokratie: Der energiegeladene Dokumentarfilm ›Alles ist eins. Ausser der 0.‹ zeigt mit cleveren Montagen, wie die großen Fragen unserer Gegenwart das Leben und Wirken Wau Hollands durchzogen. Gerade für die heutige Dynamik des Internets, in der eine Meinung nicht nur freie Äußerung, sondern immer auch eine Waffe ist, wirkt die Hackerethik des CCC wie ein Mahnmal zivilgesellschaftlicher Werte. ◆ 50 ARTHAUS KINOTIPP

Aus: Frank Kafka, Der Nachbar In: Beschreibung eines Kampfes, Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlass, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1983, S. 100 f. »Seit Neujahr hat ein junger Mann die kleine, leerstehende Neben- wohnung, die ich ungeschickterweise so lange zu mieten gezögert habe, frischweg gemietet. Auch ein Zimmer mit Vorzimmer, außer- dem aber noch eine Küche. – Zimmer und Vorzimmer hätte ich wohl brauchen können – meine zwei Fräulein fühlten sich schon manchmal überlastet –, aber wozu hätte mir die Küche gedient? Dieses kleinliche Bedenken war daran schuld, daß ich mir die Wohnung habe nehmen lassen. Nun sitzt dort dieser junge Mann. Harras heißt er. Was er dort eigentlich macht, weiß ich nicht. Auf der Tür steht: ›Harras, Bureau‹. Ich habe Erkundigungen eingezogen, man hat mir mitgeteilt, es sei ein Geschäft ähnlich dem meinigen. Vor Kreditgewährung könne man nicht geradezu warnen, denn es handle sich doch um einen jungen, aufstrebenden Mann, dessen Sache vielleicht Zukunft habe, doch könne man zum Kredit nicht geradezu raten, denn gegenwärtig sei allem Anschein nach kein Vermögen vorhanden. Die übliche Auskunft, die man gibt, wenn man nichts weiß. Manchmal treffe ich Harras auf der Treppe, er muß es immer außerordentlich eilig haben, er huscht formlich an mir vorüber. Genau gesehen habe ich ihn noch gar nicht, den Büroschlüssel hat er schon vorbereitet in der Hand. Im Augenblick hat er die Tür geöffnet. Wie der Schwanz einer Ratte ist er hineingeglitten und ich stehe wieder vor der Tafel ›Harras, Bureau‹, die ich schon viel 0 7 . r N x i n a H öfter gelesen habe, als sie es verdient. Die elend dünnen Wände, die den ehrlich tätigen Mann verraten den Unehrlichen aber decken. Mein Telephon ist an der Zimmerwand angebracht, die mich von meinem Nachbar trennt. Doch hebe ich das bloß als besonders ironische Tatsache hervor. Selbst wenn es an der entgegengesetzten Wand hinge, würde man in der Nebenwohnung alles hören. Ich habe mir abgewöhnt, den Namen der Kunden beim Telephon zu nennen. Aber es ge- hört natürlich nicht viel Schlauheit dazu, aus charakteristischen, aber unvermeidlichen Wendungen des Gesprächs die Namen zu erraten. – Manchmal umtanze ich, die Hörmuschel am Ohr, von Unruhe gestachelt, auf den Fußspitzen den Apparat und kann es doch nicht verhüten, daß Geheimnisse preisgegeben werden.« … Foto: Nico Kurth 52 BRAINFOOD

»Mach endlich das Spiel aus!« Kritik der Lust Teil 1 Von Dr. Bernhard Stumpfhaus Alle Eltern kennen das: »Denis (Name ist sprachraumabhängig und kann auch anders lauten), mach den Rechner aus, wir essen gleich!« »Ja, gleich!« Eine halbe Stunde später kommt Denis immer noch nicht zum Essen. Vater, Mutter, wer auch immer, stürmt, ohne zu klopfen, zornig ins Kinderzimmer und nötigt Denis, den Rechner auszumachen. Denis rebelliert, es kommt zum Streit. Was ist der Dissens? Die Eltern erwarten, dass es nur eines Klicks bedarf, eines Bruchteils einer Sekunde, das laufende Spiel zu beenden. Denis hingegen spielt schon einige Zeit. Er ist dabei, eine Challenge zu meistern, hat, um sich die Aufgabe zu erleich- tern, sogar schon für ein paar Gadgets Geld aufgewendet, während er über Kopfhörer mit seinen Klassenkamerad*innen quatscht, über die Hausaufgaben, über Tricks, die Challenge zu bestehen etc. Jedenfalls bedeutet für Denis dieser imaginierte Sekunden- bruchteil-Klick eine ganze Kaskade von Unannehmlichkeiten: Zum einen müsste er abrupt den Kontakt mit den Klassenkamerad*innen abbrechen – selbst im analogen Leben braucht es eine längere Zeit sich zu verabschieden, als ein Mausklick dauert. Zudem führt der Mausklick nicht zur Beendigung des Spiels. Vielmehr muss Denis erst einmal einen Button finden, der es ihm ermöglicht, auf ›Ende‹ zu klicken. Ein solcher Button ist im Spiel aber gar nicht vorgesehen. Denis muss sich aktiv motivieren, die Lust des Spieles zu verlassen und in einen Zustand sich wiederholender Unlust zu begeben. Er soll nun, außerhalb des Spieles, aber in derselben Bildmaske, die Einstellungen aufsuchen, um dort im zweiten oder dritten Untermenu so etwas wie ›Spiel verlassen‹ zu erklicken. Als Reaktion auf dieses mehrmalige, unlustige Geklicke poppt schließlich ein Fenster auf und teilt dem Spieler mit, dass er, wenn er jetzt das Spiel beende, den Fortschritt seines Spiels verliere, ob er das wirklich wolle. Ja – Nein – Abbrechen. Selbst, wenn Denis so charakterstark wäre, auf den ›Ja‹-Button zu klicken, poppt dann ein weiteres Bild auf, dass er bedenken möge, dass seine erworbenen Gadgets dann auslaufen. Man hat ja nur eine bedingte Nutzzeit jener Gadegts gekauft. Es würde bei einem ›Aus‹-Klick also auch die Investition verlieren, ohne sie erfolgreich genutzt zu haben – dreifache Wiederholung von Verlusten in dem einen Vorgang des ›Aus‹-Machens. Auch hier wäre Denis stark und klickt weiter auf ›Aus‹. Dann verlässt er das Spiel aber nicht, sondern kommt lediglich auf die Eingangsmaske des Spiels, welche ihm nur die Buttons: ›Einstellungen‹ und ›Spielen‹ anbietet, kein ›Aus‹. Er muss also entweder vom Klicken umstel- len auf eine Tastaturkombination oder er muss auf dem Rahmen seines Bildes, also aktiv mit der Maus die Spiel-Maske verlassend, ein X finden, um das ganze Fenster und damit das Programm zu schließen – alles mit den Unlustgefühlen vieler Verluste. Und auch, wenn er das schaffte, poppt wieder eine Nachricht auf, ob er denn wirklich das laufende Spiel ausmachen wolle. Für De- nis meint der von den Eltern imaginierte kurze Mausklick eine Kaskade von Peinlich- und Unannehmlichkeiten; eine Kaskade anwachsender Unerträglichkeit. Ins Spiel zu kommen bedarf es zweier unkommentierter Klicks: Das Spiele-Programm öffnen und dann auf ›Spielen‹ klicken. Bei Facebook ist es mittlerweile ähnlich: Sie werden beim Ausschalten gefragt, ob Sie tatsächlich die Seite verlassen wol- len, die Seite, die Ihnen doch eben noch so viel angenehme oder spannende Unterhaltung geboten hat. Dasselbe bei Vi- deo-Streamingdiensten. Bei Netflix klicken Sie sich in eine Serie ein, können sich zurücklehnen und nun automatisch Staffel für Staffel durchsuchten, ohne sich rühren zu müssen. Wollen Sie hingegen die Staffel unterbrechen oder das Programm verlassen, müssen Sie, wie Denis oben, umständlich aktiv werden. Sind die Staffeln tatsächlich einmal durchgesuchtet, dann bleibt eine schale Leere. Diese Leere – die tatsächlich eine ist – markiert die Unfähigkeit im Moment, von einem bloß aufnehmenden Bewusst- sein in eine Aktivität außerhalb der Filmwelt zu wechseln – wie beim morgendlichen Aufwachen. Diese Aktivität ist zu Beginn gekennzeichnet von einer Art Farblosigkeit, so als ob die Dinge und Tätigkeiten des Alltags transparent, unkörperlich seien, gleichsam eine Speise ohne Geschmack. Tatsächlich wendet unsere gesamte Unterhaltungsindustrie – und nicht nur die, wie wir später noch sehen werden – ver- haltenspsychologische Tricks an, die die Nutzer*innen an einfach zugängliche Lust gewöhnen und den Ausstieg mit Unannehmlich- keiten bestrafen. Mit jedem dieser digitalen Lust-Flows werden wir wie die berühmten Hunde mit der Glocke mehr und mehr über Belohnungs- und Bestrafungsverfahren, über das Lustprinzip habituiert. ◆ P.S. Kleine Bitte an die Eltern: Lassen Sie sich doch einmal von Ihren Kindern zeigen, was es für sie bedeutet, ein Spiel zu beenden. Teil 2 im nächsten Hanix 0 0 7 7 . . r r N N x x i i n n a a H H 54 ICH HABE GENUG

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sellschaft und haben ein Recht mitten in ihr zu wohnen. Für den 2. Bauabschnitt am Neckarbogen haben wir Grünen eine Quote von 30% gefordert. Leider gab es eine Mehrheit für nur 20%, der Cheftrainer wollte gar nur 15%. Ein taktischer Fehler, weil diese Anstrengung nicht reicht bei der Größe der Aufgabe. Zudem fallen ständig geförderte Wohnungen aus der Mietbindung, weil man neben der Marktgläubigkeit bundesweit lange davon ausging, Deutschland sei gebaut. Alles Gründe für uns Grüne zu verlangen, dass die Trainer*innen nicht nur die Taktik für das Team vorgeben, sondern das Geschehen aktiv aus der Coachingzone unterstützen raum entsteht, oder durch Vergabe in ›Erbpacht‹ → mit der ›verbilligten Vergabe stadteigener Grundstücke‹, wenn geförderter oder gemeinwohlorientierter Wohn- → mit einer eigenen ›Fördersystematik‹ für neue Woh- nungen, die außerhalb der Landesförderung bezahlbar vergeben werden → mit einer Offensive zur ›Leerstandaktivierung‹ → mit Beratung ›neuer Akteure‹ wie Baugemeinschaften → mit Bebauungsplänen, die das ›rare Gut Boden‹ schonen und die ›Demographie‹ berücksichtigen, indem immer auch ansprechender, barrierefreier Geschosswohnungs- bau mit realisiert wird → mit weiteren Konzeptvergaben, die ›Innovation‹ und bedarfsgerechte Lösungen ermöglichen wie ›modulares Bauen‹ oder ›Clusterwohnungen‹, bei denen man über eine komplette Wohnung verfügt, aber z.B. große Aufent- haltsräume gemeinschaftlich zur Verfügung stehen → mit klugen Rahmenbedingungen, die unsere Stadt an den ›Klimawandel anpassen‹ und die Stadtplanung nutzen, um das ›Stadtklima sogar zu verbessern‹ – trotz weiterem Wohnraumbau → mit klugen ›Mobilitätskonzepten‹ für das postfossile Zeitalter → mit der Aktivierung bereits versiegelter Flächen, die in Parkplätzen schlummert zum Beispiel laut einer Antwort an uns Grüne ein Potential von 50 Hektar in Heilbronn → mit ›Aufstockungen‹, die vielerorts Chancen bieten → mit der Erarbeitung einer ›Strategie‹, wie bebaubare Grundstücke in Nutzung kommen, z.B. durch einen anbietet oder zukünftig bebaubare Grundstücke zusichert oder durch vorübergehende Verpachtung für das Auf- stellen von kleinen Häusern wie ›Tiny Houses‹ ›Fonds‹, der als Gegenleistung Anteile an Wohnraum ›Ständerbauweise‹ überbaut werden. Bei großen Der WM-Titel 2014 wäre nicht drin gewesen, wenn nicht viele Fans großartig unterstützt hätten. Dieses Zusammenstehen aller braucht es auch beim Wohnen. Es beginnt bei konstruktiver Beteiligung, wenn sich die eigene Umgebung weiterentwickelt, geht über das Bereitstellen eigener Möglichkeiten wie leerstehender Wohnungen bis hin zur Akzeptanz, dass das Lösen der Aufgabe Geld kostet. Wir Grünen sind sicher, schlagen wir diesen Weg nicht ein, braucht es aufwändige Reparaturarbeiten, ganz praktisch, klimatechnisch und gesellschaftlich. Erreicht das Team das gemeinsame Ziel oder ist der Pokal gewonnen, können alle zufrieden in ihr Zuhause gehen. www.gruene-heilbronn.de 0 7 . r N x i n a H V.l.n.r.: Steven Häusinger, Ulrike Morschheuser, Isabell Steidel, Andrea Babic, Susanne Bay (Frakt.Vors.), Holger Kimmerle, Eva Luderer und Wolf Theilacker © Hans-Jürgen Luderer SUSANNE BAY MdL Fraktionsvorsitzende Bündnis90/Die Grünen Gemeinderatsfraktion Heilbronn Statement Wohnungsbau – Team, Taktik, Tor! Wie kann es sein, dass Brasilien gegen Deutschland 1 zu 7 ver- liert? Weil 11 Weltklassekicker nicht zwingend ein gutes Team ergeben! Übertragen auf das Thema Wohnen heißt das spröde: »Die Versorgung der Menschen mit bezahlbarem Wohnraum ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe«, eine Herausforderung für ein ›Team‹, gerade wie beim Fußball. Rennen da die Beteiligten im freien Spiel der Kräfte über den Platz, fallen auch Tore, aber für die Trophäe reicht es am Ende nicht. Deshalb hat der Gemeinderat, quasi als Trainerteam, zustän- dig für Strategie und den örtlichen Rahmen, den ›Gegnern‹, die Aufgabe, analysiert. Wir Grünen sehen im Ergebnis: Der freie Markt versorgt nur einen Teil der Menschen mit Wohn- raum. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht versagt er. Fachkräfte aus Deutschland und der Welt, Studierende, Alleinerziehende, Familien, Senior*innen, Menschen mit Behinderungen, also Alteingesessene und Zugezogene in verschiedensten Lebens- lagen, finden nicht ausreichend bezahlbaren Wohnraum im boomenden Heilbronn. Zielführende Empfehlungen gibt das ›Handlungsprogramm Wohnen‹, das auf die Analyse aufsetzt. Einiges wird umgesetzt, manches daraus aber zu zögerlich. Zwar wurde die ›Stadtsiedlung‹ zurecht vom Trainerteam samt exekutivem Cheftrainer als Sturm aufgestellt. Aber ein*e einzelne*r Stürmer*in kann trotz aller Anstrengung allein kein Match gewinnen. Deshalb sind wir Grünen überzeugt, dass wir eine ›ver- lässliche Quote‹ brauchen, die festlegt, wie viel geförderter Wohnraum entstehen muss. Zu dieser Quote müssen ›weitere Akteure‹ beitragen. Kein erfolgreicher Sturm ohne Mittelfeld und Abwehr! Die mittlerweile sehr gute Landesförderung gleicht den Abschlag aus bei der Vermietung an Menschen mit Wohnberech- tigungsschein. Diese sind wichtige Mitglieder unserer Stadtge- 58 58 BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN DAS INTERVIEW

Wohnungsbericht der Stadt neue geförderte Wohnungen geplant und im Bau, aber es reicht vorne und hinten nicht. Jahrelang wurden Baugebiete ohne jegliche Auflagen zum Bau von geförderten Wohnungen genehmigt. Ob am ›Südbahnhof‹, im ›Bernhäusle‹, in den ›Klingenäckern‹, im ›Neckarbogen 1‹ oder am ›Rosenberg‹ – den Investoren wurde keine Sozialquote auferlegt, für geförderten Wohnbau war die Stadtsiedlung zuständig. Am härtesten ist die Situation für Wohnsitzlose, von denen allein die Aufbaugilde 700 Menschen jährlich betreut. Wer einmal ohne Wohnung ist, befindet sich in einer Art Endlosspirale: keine Wohnung – keine Arbeit und umgekehrt. Welche aktuellen Entwicklungen im Engagement der Stadt sieht Ihre Partei als vielversprechend für die zukünftige Wohnsituation der Stadt? Was wird verbessert? Zunächst ist die Zunahme beim Bau von Wohnungen eine positive Entwicklung, die jedoch bei den Wohnungsmieten und bei der Art des Bauens an der Bedürftigkeit vieler Mieter und Wohnungssuchenden vorbeigeht. Auch, dass bis 2022 die An- zahl der geförderten Wohnungen ansteigen soll, ist zu begrüßen, wenngleich der Anstieg vorerst (noch) zu gering ist. Der Bau von 120 Wohnungen durch die Aufbaugilde im Stadt- und Landkreis Heilbronn für Wohnungs-, Obdach- und Langzeitarbeitslose sowie Leute mit kleinem Geldbeutel ist ein positives Beispiel, das Schule machen sollte – allerdings dank des Engagements des privaten Vereins der Aufbaugilde. Wo sieht Ihre Partei Bedarf für Nachbesserung oder gar Ein- führung neuer Strategien? Das ganz große Manko in Heilbronn ist eine fehlende allgemein gültige Quote für alle Investoren in allen größeren Baugebieten über 12 Wohnungen. Die ›Stadtsiedlung‹ hat in den letzten Jahren viel in den Bau geförderter Wohnungen investiert, kann hier aber nicht immer in die Presche springen. Eine Quote von geförderten Wohnungen von mindestens 30% halten wir nach wie vor für richtig. Immerhin gab es im Gemeinderat nur eine knappe Niederlage dazu für den ›Neckarbogen 2‹. Ich denke, dass damit große Investoren, wie zum Beispiel die Schwarz-Stiftung mit ihrem großen Bedarf an Arbeitskräften in Heilbronn sowohl zum Bau von geförderten Miet- wohnungen als auch echten Studentenwohnungen entsprechend des grundgesetzlichen Auftrages der Sozialverpflichtung veranlasst werden müssen. Weiterhin fehlt in Heilbronn eine kommunale Institution – zum Beispiel ein städtisches Wohnungsamt - welche die Vergabe von geförderten Wohnungen steuert und koordiniert. Bundespolitisch befürworten wir die Einführung von gemeinnützigen Wohnbauunternehmen mit klarer Gewinnbegrenzung auf z.B. 4%, um damit die Bewirtschaftung von Wohnungen am Kostenmietprinzip auszurichten. www.die-linke-heilbronn.de 0 7 . r N x i n a H Wohnbau der Schwarzstiftung, ehemaliges KACO-Gelände © Jürgen Patzelt KONRAD WANNER Sprecher der Gruppe Die Linke Gemeinderatsfraktion Heilbronn Interview Hanix: Wie sieht Ihre Partei die derzeitige Wohnsituation in Heilbronn? Konrad Wanner: Die Situation beim Wohnen hat sich in den letzten Jahrzehnten schleichend verändert. Sie ist wie in allen großen Städten in der Bundesrepublik von zwei entscheidenden Richtungsänderungen in der Politik geprägt. Anfangs der 1990er Jahre wurde die Wohnungspolitik neu ausgerichtet nach den Prinzipien Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung. Gleichzeitig wurde die Gemeinnützigkeit im Wohnungssektor abgeschafft. Bundesweit wurden zwischen 1995 und 2010 über eine Million Wohnungen privatisiert. Mit der Privatisierung von öffentlichen Wohnungsbeständen sind Hunderttausende Wohnungen, die früher den Regeln der Gemeinnützigkeit un- terlagen, in die Bewirtschaftung von institutionellen Anlegern und renditeorientierten Wohnungsunternehmen gelangt. Ver- schlechterung der Wohnsituation und steigender Mietdruck sowie eine deutliche Einschränkung der landes- und kommu- nalpolitischen Handlungsspielräume sind die Folgen. Wie viele Wohnungen in Heilbronn betroffen waren, ist nicht bekannt. Die Eisenbahnerwohnungen oder Wohnungen für Postmitarbeiter wurden oft mehrmals verkauft und mit jedem neuen Besitzer gab es Mieterhöhungen. Auch die ›Stadtsiedlung‹ hat jahrelang Wohnungen in großer Anzahl verkauft. Aus dem Wohnen als Teil der sozialen Verantwortung der Gesellschaft wurde ein Renditeobjekt. Heilbronn gehört inzwischen zu den Städten mit den höchsten Mietsteigerungen in Deutschland. 2019 sind Neuvertragsmieten in Heilbronn auf 12,25 €/m² gestiegen und damit fast auf dem Niveau von Großstädten wie Berlin, München oder Stuttgart mit 12,42 Euro je Quadratmeter. Der Bestand an geförderten Wohnungen sinkt seit vielen Jahren, weil Wohnungen, deren Mietpreisbindung auslief, nicht durch neue geförderte Wohnungen ersetzt wurden. Es sind inzwischen wieder laut dem 60 60 DAS INTERVIEW DAS INTERVIEW DIE LINKE

streben. Dort, wo möglich, sollten Wohnungen in Dachgeschossen oder Einliegerwohnungen unkompliziert genehmigt werden. Auch die Aufstockung/Überbauung von Parkplätzen, eingeschossiger Einzelhandelsmärkte mit Wohnungen muss geprüft und ermöglicht werden. Ein attraktiver ÖPNV, die Anbindung von Fuß- und Radwegen und die Erreichbarkeit mit dem Pkw sind wichtige Aspekte, damit auch die Stadtteile als akzeptierte Wohnstandorte in den Mittelpunkt der Wohnungsversorgung rücken können. Die Stadtteile sollten in die Planung mit eingebunden werden. Wo sieht Ihre Partei Bedarf für Nachbesserung oder gar Ein- führung neuer Strategien? Wir fordern von der Verwaltung ein Leerstandsmanagement für noch nicht bebaute Flächen in den bereits beschlossenen Baugebieten. Dazu gehört auch das alte Industriegebiet. Bevor neue Industrie und Wohnbaugebiete im Flächennutzungsplan in Außenbereichen ausgewiesen werden, sind konsequent inner- städtische Brachflächen zu entwickeln. Die Bauverwaltung sollte einen Masterplan zur Entwicklung dieser Gebiete erstellen. Solche Prozesse können ohne Bürgerbeteiligung nicht funktionieren. Ge- wachsene und bisher gesetzlich geregelte Planungsmechanismen für Großprojekte in unserer Stadt zeigen, dass heute Großprojekte ohne Bürgerbeteiligung nicht mehr gesellschaftsfähig sind. Deshalb fordern wir eine intensive Beteiligung interessierter Bürger. Wir brauchen gerade in der Auswahl von Wohnbau- und Gewerbe- baugebieten einen umfassenden Partizipationsprozess unter Beteili- gung der Bevölkerung. Um nur ein Beispiel zu nennen, könnte das Reim-Areal mit einer Markthalle in Kombination mit einer attraktiven Wohnbebauung bebaut werden, die den Zielen des nachhaltigen Bauens entspricht. Darunter verstehen wir die Minimierung des Verbrauchs von Ressourcen und Energie. Dieser Bereich sollte unter Einbindung der Anwohner/Kaufleute/Stadtinitiative und sonstiger Interessierter einer Neuordnung zugeführt werden. www.fwv-hn.de 0 7 . r N x i n a H HERBERT BURKHARDT Fraktionsvorsitzender Freie Wähler Gemeinderatsfraktion Heilbronn Interview Hanix: Wie sieht Ihre Partei die derzeitige Wohnsituation in Heilbronn? Herbert Burkhardt: Wir fordern neben der Entwicklung von ›Neckarbogen‹, ›Längelter‹ und ›Nonnenbuckel‹ die Entwicklung weiterer Wohnbauflächen, z.B. die Bebauung der Friedrich-Ebert- Trasse und des Gebiets ›Fleischbeil‹ (nördlich vom Freibad Gesundbrunnen). Hierzu haben wir bereits entsprechende Gemeinderatsanträge gestellt. Leider hat die Bauverwaltung den vom Gemeinderat beschlossenen Bebauungsplan für die Friedrich-Ebert-Trasse nicht umgesetzt. Hier werden wir auf die Erfüllung des vom Gemeinderat beschlossenen Bebauungsplans bestehen. Leider erleben wir immer wieder, dass die Bauverwal- tung Beschlüsse des Gemeinderates – die nicht ins Konzept der Verwaltung passen – nur schleppend umgesetzt werden. Innen- entwicklung, z. B. durch die Bebauung der Friedrich-Ebert-Trasse muss dabei den Vorrang vor der Außenentwicklung haben. Baulücken, auch in den Stadtteilen, sind zu schließen. Welche aktuellen Entwicklungen im Engagement der Stadt sieht Ihre Partei als vielversprechend für die zukünftige Wohnsituation der Stadt? Was wird verbessert? Für die Heilbronner müssen sowohl bezahlbare Wohnungen geschaffen als auch die Freizeitangebote gestärkt werden. Wohnen am oder auf dem Neckar ist zu prüfen. Die planerische Entwicklung solcher ›neuen‹ Wohnformen sollte unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte erfolgen. Heilbronn sollte unter ganzheitlichen Gesichtspunkten zukünftige Wohnformen und Bauflächen systematisch entwickeln. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die Energieversorgung der Zukunft zu richten. Wir brauchen flexible Strategien, um auf Veränderungen rea- gieren zu können. Bestehende Baulücken müssen erfasst und geschlossen werden. Eine nachhaltige Verdichtung ist anzu- 62 62 FREIE WÄHLER

Die Oliver Maria Schmitt-Kolumne Heilbronn – A Nice Place To Come From In toten Häusern Warum der Flughafen BER einfach nicht fertig wurde Es ist mathematisch einfach nicht zu wi- derlegen: einen riesigen Teil meines Lebens war ich in Heilbronn interniert. Und das auch noch gegen meinen Willen! Ich wurde jedenfalls nie um meine Meinung gefragt, einvernehmlich war da gar nix. Ohne jegliche Rücksprache wurde ich in der schnarchigen Stadt am Fuße des Wartbergs gezeugt, geboren, erzogen, eingeschult und wieder ausgeschult. Immerhin tröstet mich der Gedanke, dass eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages einmal ein pompöses Denkmal in der Innenstadt an mich erinnern wird – aber freilich nur, wenn ich es selbst entwerfe, auf eigene Kosten gießen lasse und die Genehmigung zur Aufstellung auf dem Marktplatz bekomme. Für den Denkmalbau bin ich prädes- tiniert, denn ich verbrachte schon meine früheste Jugend auf Baustellen. Anfang der siebziger Jahre ergaben sich sämtliche Bekannte und Freunde meiner Eltern in ihr schwäbisch-genetisches Schicksal und fingen an, sich ein sogenanntes „Häusle“ zu bauen. Da Schwaben aber generell Hand- werkern misstrauen – vielleicht deswegen, weil sie oft selbst welche sind – wurde der Häuslebau prinzipiell in Eigenleistung vorgenommen. Das machte das Leben bil- liger, und in der Freizeit war man sinnlos beschäftigt. Während wir in einer geräumigen Vier- zimmerwohnung lebten, hausten die Fre- unde und Bekannten meiner Eltern aus Sparsamkeits- und Kostengründen in merk- würdig riechenden Zweizimmerwohnungen oder muffigen Kellerverließen im Haus der Schwiegereltern. Sie sparten für Größeres. Aufgrund irgendeines uralten und zutiefst fragwürdigen Brauches hat jeder Schwabe das Naturrecht, Verwandte und Bekann- te in beliebiger Anzahl und Verfassung jederzeit zu Frondiensten auf der eigenen Baustelle heranzuziehen. Widerspruch wird nicht geduldet, auf Ausreden steht verschärfte Kehrwoche, wenn nicht sogar Kniebeugehaft. Also packte man samstags erst das „Veschper“ und dann die Kinder ins Auto und fuhr los, an den baugrubengesäumten Rand irgendwelcher Unterlanddörfer. Die Frauen durften zum Kochen mitkommen, und die Kinder dabei zuschauen, wie sich ihre Väter auf der Baustelle betranken. Weil die Freizeit- und Hobbybauleute fast ausnahmslos blutige Laien und Dilettanten waren, mussten selbst die einfachsten Ver- richtungen lautstark und wichtigtuerisch durchdiskutiert werden, weshalb sich so ein Eigenheimbau meist über mehrere Jahre 0 7 . r N x i n a H l e n h ü K a l l U : o t o F 64 OLIVER MARIA SCHMITT-KOLUMNE

Es soll hier nun also darum gehen, wo man herkommt. Wo man lebt und wohnt. Um Stadt und Land, Bestand und Veränderung. Um Heimat, Identität und einen kleinen Film, der eher zufällig zu diesen Themen entstand. Von David Sansi »Woher kommst Du?« David Sansi spürt der Bedeutung dieser Frage nach 0 7 . r N x i n a H Ich wurde 1973 geboren, in Bietigheim-Bissingen. Meine Mutter das jüngste Kind einer russlanddeutschen Familie, die im 2. Welt- krieg aus der Ukraine über Umwege nach Deutschland geflüchtet war. Mein Vater ein Inder, der in Neu-Delhi aufwuchs und mit 18 Jahren zum Studieren nach Deutschland kam. Es waren die wilden Jahre nach ›68‹. Generationskonflikte, Studentenbewegung, freie Liebe usw. So entstand ich eher etwas ungeplant. Als ich 3 war, verließen meine Eltern dann mit mir das Mehrgenerationenhaus meiner Großeltern in der Stadt (also Bietigheim eben), um eine eigene Familie zu sein. Wir zogen aufs Land, in ein Reihenhäuschen nach Bracken- heim im westlichen Landkreis Heilbronn. Ziemlich schnell war klar: Wir sind die anderen im Dorf. Sehr wahrscheinlich war mein Vater mit seinen langen schwarzen Haaren und seinem Vollbart damals noch der erste und einzige Inder im ganzen Zabergäu. Meine Mutter trug gerne indische Kleider und hatte die EMMA abonniert, was die Meimsheimer Landfrauen nicht gerade zu ernsthaften Anwerbeversuchen ermutigte. Sie hat mir später oft erzählt, dass es anfangs wohl eine schwierige Zeit für uns alle war. Ich erinnere mich nur noch verschwommen an die ersten Jahre. Dennoch wurde das Reihenhäuschen langsam zu meinem neuen Zuhause. Ich besuchte freiwillig (da konfessionslos) und mit Freude den Religionsunterricht, war begeistert in jedem Zeltlager dabei und wurde mit 14 getauft und konfirmiert. Ich war in vielen Vereinen, habe mich in unzähligen Sportarten versucht und wurde in die württembergische Volleyball-Jugendauswahl berufen. An der Schule spielte ich mit Leidenschaft Theater und war Schul- sprecher. Stolz durfte ich 1992 Deutschland beim olympischen Jugendlager in Barcelona vertreten, mit dem Bundesadler auf der Brust. Und im Jahr danach wurde ich von meinen Mitbürgern zum Brackenheimer ›Sportler des Jahres‹ gewählt. Zugegeben, das mag alles etwas prahlerisch anmuten, doch für die weitere Geschichte ist es genau so relevant. Denn aus dem neuen Zuhause auf dem Dorf, in dem wir uns anfänglich nicht wirklich dazugehörend fühlten, wurde über die Jahre meine ge- liebte Heimat, in der ich mich akzeptiert, respektiert und ge- borgen fühlte. Ich war mit vielen Strukturen glücklich verwoben, liebte unser Landleben und verspürte nicht selten ein gewisses Mitleid für Stadtkinder. 66 GEDANKEN AUS DER FERNE

Wie war das Leben in Heilbronn zu früheren Zeiten? Darauf wird man ganz unterschiedliche Antworten erhalten – abhängig auch davon, ob man die unmittelbare Innenstadt oder die außerhalb liegenden Stadtviertel in den Blick nimmt. Von Annette Geisler, Fotos: Fotosammlung Stadtarchiv Heilbronn Entwurf des Laubenganghauses von Architekt Ludwig Knortz, 1930 Die Mosergasse, um 1910 (Fotograf unbekannt) Wohnen in Heilbronn Eine Geschichte mit Licht und Schatten 0 7 . r N x i n a H Die sogenannten Vorstädte, die Stadtquartiere, die ab 1800 im Süden vor dem Fleiner und im Norden vor dem Sülmertor ent- standen, folgten einer Stadtbauplanung. Hier nahm »das Streben nach Raum, Licht und Luft« in Form breiter, baumbestandener Straßen und großzügiger Innenhöfe Gestalt an. Davon profitierten auch die neugebauten Mietwohnhäuser für den Mittelstand und das gehobene Bürgertum, die zum Beispiel an der Weinsberger oder an der Wilhelmstraße errichtet wurden. Aber die Preise für die Bauplätze stiegen und auch die Löhne für die Bauhandwerker zogen an, so dass es viel zu wenig Bauwillige gab, um den Bedarf an neuen Wohnungen zu decken. Enge dominiert die Altstadt Als Heinrich Titot im Jahr 1841 eine Beschreibung von Heilbronn verfasste, beklagte er die geradezu dramatische Verdichtung in der Altstadt – aus rund 900 Wohnhäusern auf knapp 28 Hektar um 1800 waren mehr als 1.100 geworden. Anstelle der Stadtgärtchen und in den Innenhöfen waren ›schuppenartige Hintergebäude‹ entstanden, Scheunen und Magazine wurden in Behelfswohnun- gen verwandelt, Abstellkammern, Dachböden und Hausflure als Zimmer vermietet. Rund 10.000 Menschen lebten damals dicht an dicht in der Altstadt. 68 DER HISTORISCHE SCHUSS

Wohnen in Heilbronn Ein Foto-Essay von Ulla Kühnle 0 7 . r N x i n a H 70 .JPG – BILDERGALERIE

Junge Designer der Schule für Gestaltung des Kolping-Bildungszentrums Heilbronn zeigen ihre Arbeiten. frisch gestaltet Inhaltliche und formale Auseinandersetzung mit den Kulturen des Orients, Lateinamerikas und Asiens / Bildkonzepte im Rahmen einer CI-Entwicklung für ein Völkerkundemuseum von Anna Samek, Emma Konrad, Helena Wiebrecht, Jan Piela und Franziska Edwell. Berufskolleg Grafik-Design / Dozentin: Laura Wenisch / Fach: Grafik-Design / 3. Klasse Weitere Projekte und Informationen unter: www.sfg-hn.de oder www.kbz-hn.de 72

DU UND DEIN GEHIRN EIN GUTES TEAM! EIN GUTES TEAM! EIN GUTES TEAM! EIN GUTES TEAM! EIN GUTES TEAM! Sonderausstellung 24. Oktober 2020 - 2. Mai 2021