zunächst einmal Angst, wir könnten Scheitern, wir könnten im aller- schlimmsten Fall an dem Problem zugrunde gehen, an dem Problem sterben. Diese Angst kann jetzt einerseits dazu führen, den Kopf in den Sand zu stecken und auf den Tod zu warten, aber andererseits ist die Angst doch eine sehr treibende Kraft: Ich möchte eben nicht zugrunde gehen, ich möchte eben nicht sterben, ich möchte eben nicht, um den Begriff von vorhin aufzugreifen, scheitern, sondern ich möchte das Problem lösen, ich möchte das Problem meistern. Und dadurch entwickeln wir sehr viel Energie und letztendlich auch sehr viel Kreativität. Wir sind eine Wachstumsgesellschaft. Unser Wachstum ist dadurch ausgezeichnet, dass auf einer Tabelle die Kurve im- mer nach oben zeigen muss, dieses: Schneller, Weiter, Höher, »Die Gewinne müssen sich steigern«. In einem Unternehmen ist es so, dass ich mehr investieren muss, um überhaupt den Status Quo halten zu können. Das Ganze klingt für mich wie die Beschreibung dessen, was Sie eben zur Sucht gesagt haben. Das ist die Frage: Wer fordert denn immer dieses Wachstum von uns? Im Endeffekt sind wir das alle miteinander, die uns diesem Diktat des Wachstums unterwerfen. Oder man könnte abstrakt sagen: Die Gesellschaft besteht im Endeffekt aus Individuen, die sich dieser Ge- sellschaft unterwerfen, und wir alle sind uns mehr oder weniger einig darin, dass wir in irgendeiner Form wachsen müssen. Im Endeffekt unterwerfen wir uns da selbst, und wir machen uns da tatsächlich in einer Form abhängig. Wir sind abhängig von der Gesellschaft, in die wir uns integrieren. Wir sind abhängig auch von Unterteilen der Gesellschaft, etwa dem Arbeitgeber. Der macht gewisse Vorgaben, dem kann ich mich nicht entziehen. Und dann geht es eben darum, mehr Leistung zu bringen, möglicherweise auch mehr Gewinn ab- zuwerfen. Und ja, daran kann man natürlich verzweifeln, daran kann man natürlich scheitern, an diesen Belastungen, möglicherweise kann man zu Lifestyle-Drogen greifen, was ja tatsächlich heutzutage auch immer mehr und immer weiter passiert. Noch eine abschließende Frage zum Themenkomplex Zukunfts- angst: Wir haben transhumanistische Ansätze. Z.B. das Micro- dosing, d.h., dass ich bewusst daran arbeite, den menschlichen Körper über den Status Quo mit kontrolliertem Substanzgebrauch hinauszutreiben, dass ich eben nicht notwendigerweise acht Stunden schlafen muss, sondern dass ich das, wie auch immer unterstützt, auf vier Stunden reduzieren kann. Dann, dass ich durch technische Erweiterungen meine Sinne, meine Leistungen optimieren kann. Wie sehen Sie diese Zukunftsperspektive einer Ummodulierung dessen, was wir heute als Mensch haben? »Ja, wir wollen diesen Status Quo überwinden, um den Menschen zu mehr zu machen, als er jetzt ist.« Das halte ich für gefährlich, und jetzt benutze ich den Begriff, den Sie verwendet haben: Das macht mir persönlich Angst, weil das das Ende des Menschseins ist. Zum Menschsein gehören eben auch die Fehler dazu, zum Menschsein gehört eventuell auch die Behinderung dazu, das ist ja ein anderes Stichwort, das wir heu- te doch benutzen, dass wir Behinderte oder Versehrte nicht aus- schließen wollen, sondern inkludieren wollen. Das widerspricht so ein bisschen der ständigen Optimierung. Der ständige Wunsch nach Optimierung, nach »Gleichmachen« macht mir Angst, weil der Mensch doch ein Individuum ist, so, wie er ist, mit all seinen Vorzü- gen und mit all seinen Leistungsstärken, mit all seinen Fähigkeiten genauso wie mit seinen Fehlern und mit seinen Schwächen. Und ich als Individuum muss lernen, mit meinen Stärken und mit meinen Schwächen klarzukommen, und gleichzeitig muss aber auch die Gesellschaft lernen, mit meinen Stärken und meinen Schwächen klarzukommen. ◆ 5 5 7 7 . . r r N N x x i i n n a a H H dann eigentlich auch weder Angst im Leben noch Angst vor dem Tod haben sollte, weil, noch einmal, der Tod ja zum Leben dazugehört. Wenn wir Ängste entwickeln, dann entwickeln wir in aller Regel Ängste vor unserem Ende, vor unserem Tod. Leben ist andererseits natürlich etwas sehr Schönes, und wir alle wollen leben, und insofern fällt es uns sehr schwer, mit diesen existenziellen Ängsten umzugehen. Das ist tatsächlich etwas, was frühkindlich durchaus angelegt wird. Wie gesagt, wir alle, schon Säuglinge haben, ohne dass wir uns Gedanken darüber machen, eine potentielle Angst vor dem Tod. Sie schreien, sie weinen, wenn sie Hunger haben, sie schreien, sie weinen, wenn sie Durst haben, und wenn sie gut von ihren Eltern versorgt werden, dann lernen sie im Laufe der Zeit, dass ihnen Hunger, dass ihnen Durst, dass ihnen eine volle Windel und was auch immer, keine Angst machen muss, dass das eben keine Bedrohung ist, weil sie gut eingebettet sind. Und dadurch wachsen die dann letztendlich heran zu durchaus selbstbewussten Individuen. Erst dann, wenn diese elterliche Sorge oder diese elterliche Fürsorge insuffizient ist, fühlen sich die Neugeborenen, die Säuglinge in ihrer Existenz bedroht, und das zieht sich dann durch, da haben wir so eine Art Gedächtnis in das Erwachsenenalter. Und das führt dann eben dazu, dass wir nicht selbstbewusst sind und dass wir eben keine Problemlösestrategien haben. Weder sind wir sicher, dass uns jemand anderes helfen wird, weil uns ja in der Vergangenheit auch nicht geholfen worden ist, noch sind wir stark genug, Lösungen für die Probleme selbst zu finden. Und das macht uns dann wiederum eine existenzielle Angst, wir fühlen uns quasi wiederum mit dem Tod bedroht. Ist die Angst immer noch so eine dominierende Existenzgrund- lage für uns Modernen, heute? Ja. Weiterhin. Davon bin ich überzeugt, dass die Angst eine sehr treibende Kraft ist, die ja durchaus eine schöpferische Kraft ist. Wir sprechen jetzt sehr theoretisch. Wir sind vor ein Problem gestellt, und dieses Problem können wir jetzt scheinbar nicht lösen, und dieses Nicht-Lösen des Problems macht uns Angst. Ähnlich, wie der Tod uns Angst macht. Dem können wir nicht entkommen, dem Tod, und deswegen haben wir Angst vor dem Tod. Es gibt keine Lösung für dieses vermeintliche Problem Tod, genauso wenn wir mit einem Problem konfrontiert sind, was wir bisher so noch nicht hatten, was wir bisher so noch nicht zu lösen als Aufgabe hatten. Dann macht uns das 64 ROBERT PRAGER IM GESPRÄCH