Synagoge stand, aufgestellt von der Jüdischen Gemeinde zum Chanukka-Fest, mutwillig beschädigt wird – in der Christnacht! Chanukka, fast zeitgleich mit Weihnachten, ist als »Lichterfest« der Juden. Die Polizei sprach von einem antisemitischen Hinter- grund. Harald Stumpf, damals amtierender Prälat, sagte dazu: »Es schmerzt mich sehr, dass in so einer multikulturellen und multireligiösen Stadt wie Heilbronn, deren jüdische Gemeinde seit über 1000 Jahren nachweisbar unsere Kultur mitgestaltet und geprägt hat, so eine judenfeindliche Attacke möglich ist. Wir sind bleibend mit dem Volk Israel verbunden.« Und dann, bis heute, am Sabbat, dies: Avital Toren, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, sagt, danach gefragt, warum man in Heilbronn keine Kippa sieht: »Die Menschen haben Angst«. Jüdische Gläubige setzen sie auf, wenn sich hinter ihnen die Eingangstüre zum Haus mit dem Ge- betsraum geschlossen hat und sie nehmen sie ab, bevor sie auf die Straße treten. Bei der letzten Zählung 2011 gab es im Land 7.809 Angehörige der israelitischen Religionsgemeinschaft. Antisemi- tismus kann man nur von unten und ganz früh bekämpfen sagt Dr. Franz Brendle vom Runden Tisch der Religionen. Avital Toren ist offen gegenüber anderen Religionen, nimmt rege am öffentlichen Leben und Diskurs teil. Roswitha Keicher, Integrationsbeauftragte der Stadt, erzählt, sie habe vorgeschlagen, Juden, Christen und Moslems sollten doch einmal miteinander kochen. Das würde auch bedeuten, an einem Tisch zu sitzen, die Symbolkraft von Bildern soll man nicht unterschätzen. Die Vergangenheit gestaltet die Gegenwart: Pfarrer i.R Richard Mössinger erinnert an ein Stück Nachkriegsgeschichte der Stadt, das auch nachlesbar ist in dem Buch »Evangelisch getauft, als Juden verfolgt«. Er tut das voller Respekt, denn er hat zwei dieser Menschen in Heilbronn erlebt. Hans Wolfgang Litter- scheid, 1912 in Berlin geboren, 1970 in Tübingen gestorben, aus großbürgerlichem, aufgeklärtem Hause stammend, musste 1933 das Jurastudium aufgeben, er war Halbjude. Er überlebte die Nazizeit untergetaucht, als evangelischer Pfarrer, kam 1946 als Jugendpfarrer nach Heilbronn, wo von 25 Kirchen nur noch eine »benutzbar« war, gründete die Christliche Pfadfinderschaft und baute die Wichernkirche mit auf, 1954 ging er an die Stiftskirche in Tübingen. Er hat nie darüber gesprochen, keiner wusste es, dass er Halbjude war. Warum wohl? Geert Tepperberg war zwanzig Jahre Geschäftführender Pfarrer der Friedensgemeinde, hochgebildet und ein »Mischling ersten Grades«. Sein Vater, Gerichtspräsident, gehörte der Synagoge von Radautz in der k.u.k. Bukowina an, die Familie der Mutter, Speidel, stammte aus Württemberg. Auch er schwieg zu seinen jüdischen Wurzeln. Publikumswirksam wird in den Reden zum Gedenken an die Reichspogromnacht der Bau einer Syngoge gefordert. Für die kleine Gemeinde in Heilbronn, viele ihrer Mitglieder kommen aus dem Osten und haben ein schweres Schicksal hinter sich, ist es ein Unterfangen, weit über ihre Kräfte hinaus. Für die reiche Stadt und die Reichen der Stadt wäre es eine zu bewältigende Aufgabe, gäbe es den politischen Willen dazu und auch diese Überlegung: Sind denn in der Univer- sitätsstadt Heilbronn mit über 10.000 Studenten keine jüdischen jungen Menschen immatrikuliert? Warum sind sie nicht sichtbar? Der Telefonanschluss von Roswitha Keicher ist anonym ge- schaltet. Man kann sich denken warum, ihr Engagement für die Integration bremst das nicht. Mit ihr über das Erscheinungsbild und die Aktivitäten moslemischer Bürger zu sprechen wird zum Exkurs über Vorurteile und Urteile. »Sie kommen nicht aus der Schublade heraus« beschreibt Keicher ihre Situation, wünscht sich bei diesem Thema mehr Sensibilität, dass »nicht gleich der Rolladen runtergeht« und man auch die positiven Aktivitäten zur 6 7 . r N x i n a H Kenntnis nimmt. Als Beispiel nennt sie die Öffnungsbemühungen der Jugendgruppe der Fatih-Moschee im »Hawaii«. Sie habe keine schlechten Erfahrungen mit Moslems gemacht, sagt sie, das Stigma, mit dem sie auch in Heilbronn belegt sind, rufe Resignation hervor. Es ist dieser Spagat, den man im Alltag so erlebt: Die aufgeklärten, weltoffenen und doch tiefgläubigen Vertreter des Islam, so wie sie beim Tag der Religion gerade in Heilbronn aufgetreten sind, die türkischen Frauen, die beim Frauentag im Rathaus mit ihren Köstlichkeiten die Besucherinnen begeistern und der Anblick des zarten Mädchengesichts der Frau, die einen Kinderwagen schiebt, rechts und links hängen noch zwei Kleine an ihrem Dschilbab, unübersehbar ist, dass ein viertes dazukommt. Wer kümmert sich um die Seelen dieser »Gebärmaschinen«? Auch Islamophobie muss man früh und von unten bekämpfen. Die Akademie der Diözese Rottenburg hat sich 2019 des Themas »Moscheen und Moscheebau- konflikte in Baden-Württemberg« angenommen, denn »hier leben mehr als 600.000 Menschen muslimischen Glaubens, mit Anspruch auf politische und gesellschaftliche Teilhabe, von denen viele das Land mitgestalten«. Das trifft auch auf Heilbronn zu. Mitglied des seit Jahren bestehenden Runden Tisch der Religionen ist auch Erdinç Altuntas, Vorstandsvorsitzender des Ditib-Landesverbandes Baden-Württemberg und Vorstandsmitglied auf Bundesebene. Als in Köln vor zwei Jahren die große Zentralmoschee von Ditib (Deutschlandfunk: »Ort zum Beten, Ort der Macht«) eingeweiht wurde, kam der türkische Staatspräsident Erdogan, der Mann, der den gerade verstorbenen Schriftsteller und Menschenrechtler Doğan Akhanlı völkerrechtswidrig festnehmen und foltern ließ. Die unübersehbare Nähe von Ditib zu dessen Regime bereitet Bauschmerzen. Altuntas hat vor der Abstimmung über den Heil- bronner Ditib-Moschee-Bauantrag mit den Fraktionen gesprochen. Wäre dies doch auch öffentlich geschehen, hätte es einen Diskurs dazu geben, hätte man die Zweifel angesprochen an dem, was die Imame in der Moschee lehren und was die Frauenrechte betrifft, ein Menschenrecht wie Religionsfreiheit. Dabei hätte man auch an das Entgegenkommen der Ditib-Gemeinde erinnern können: Sie gab ein Stück ihres Grundstückes her um den Bau der Stadt- bahn zu möglichen. Ironie der Geschichte: Abgelehnt wurde der Moschee-Bauantrag wegen »Verkehrsproblemen«. Beschämend war, wie feige sich hier der Gemeinderat zeigte, wie er geschlossen schwieg, sprachlos abstimmte, so wie zuvor hinter verschlossenen Türen verabredet. Was werden die türkischstämmigen Heilbronner, oft schon in der dritten Generation hier, erfolgreich und integriert, ob gläubig oder »säkularisiert« daraus lernen? 22 Eingang zur Moschee DITIB Merkez Camii in der Weinsberger Straße, Heilbronn © Nico Kurth 2021 DER HIMMEL ÜBER HEILBRONN