Das Interview, Hanix 73: Übersetzen. Vom Analogen ins Digitale
Interview: Hanix
Foto: Nico Kurth
Hinweis: Ihr könnt den Mitschnitt des gesamten Interviews in der Rubrik „Audio“ auch anhören.
Anlässlich der jüngsten Tagung des Deutschen Literaturarchiv Marbach: »LiteraturarchivDerZukunft«, sprach Hanix mit der Direktorin, Sandra Richter, über die Herausforderungen des Archivs bei der Digitalisierung, über die deutsche Sprache in Zeiten einer englisch geprägten Computer-Kultur, über politisch korrektes Übersetzen und natürlich über die anstehenden Feierlichkeiten zum Jubiläum des Revolutionärs Ludwig Pfau in Heilbronn.
Hanix: Vor kurzem hat Ihre Tagung »LiteraturarchivDerZukunft« mit acht Thesen zur Digitalisierung des Archivs und einer Vielzahl von hochkarätigen Beiträgen stattgefunden. Was nehmen Sie aus dieser Tagung mit? Und was bedeutet diese Tagung für Sie als analog-fundiertes Archiv?
Sandra Richter: Die Tagung war ein Anfang für Gespräche dieser Art und hat gezeigt, wie vielschichtig das Thema Archiv ist. Archivieren ist eben nur ein Oberbegriff. Und darunter passiert eigentlich alles, was interessant ist. Welche Dinge erwerben wir? Was erschließen wir? Was erforschen wir? Was erforschen wir gemeinsam mit anderen? Was stellen wir der Öffentlichkeit zur Verfügung? Was ist relevant für eine größere Öffentlichkeit? Was nimmt sie auf? Und da haben wir bestimmte Dinge nur gestreift. Das Digitale spielt natürlich eine große Rolle für ein Archiv, das überwiegend aus Papier besteht, aber zunehmend Digitales in das Haus bekommt. Zudem setzen wir uns intensiv mit Fragen des Urheberrechts auseinander. Das ist ein Aspekt. Aber ganz viele Dinge haben noch keine Rolle gespielt. Zum Beispiel das Archiv im internationalen Umfeld. Wir haben sehr viele Kooperationen, sehr viele Partner in der Welt. Und für mich war eine Konsequenz aus der Tagung, dass wir unbedingt eine weitere brauchen, nämlich mit internationalen Partnern, mit den ehemaligen Sommerschülern aus aller Welt, die hier während ihrer Doktorarbeit gearbeitet haben.
Weil Sie die Internationalität ansprechen: Wie gehen Sie damit um, dass sie ein deutschsprachiges Archiv sind? Wie sehen Sie diese Ambivalenz einerseits deutschsprachig orientiert, andererseits der Internationalisierung verpflichtet zu sein?
Für mich sind das keine Gegensätze. Ich meine, dass die deutschsprachige Literatur in besonderer Weise eine Hybridliteratur ist. Sie hat sich herausgebildet in der Auseinandersetzung mit der Antike. Sie hat sich ausgebildet in der Mittellage Europas, in einem Land, in das per se viele Einflüsse eingehen – über die französische Grenze, die polnische, die dänische, über die Grenze zur Schweiz und so fort. Und dieses Land war nie derart literarisch abgeschlossen, dass man es ohne weiteres auf einen nationalen Kanon hätte trimmen können. Goethe hatte bekanntlich Vorfahren im Elsass. Das muss man bedenken, wenn man über einen Begriff von deutschsprachiger Literatur nachdenkt. Zum einen die Offenheit über Grenzen hinweg, zum anderen auch innerdeutsch die starke Binnengliederung. Was im 18. Jahrhundert in den norddeutschen Ländern relevant war, war es im Süden in der Form noch nicht. Es gab die sogenannte »bibliopolare« Teilung des Landes: Der Norden war literarisch sehr viel aktiver als der Süden. Und erst nach und nach kamen die Literaturen zusammen. Insofern verbinden sich das Regionale und das Internationale sehr stark in der deutschsprachigen Literatur. Und das zeigt sich auch in unserem Archiv.
Das Archiv wurde 1955 als eines gegründet, das vor allem auch der Exilliteratur ein Hafen sein sollte, die ja in aller Welt zerstreut war. Nach wie vor ist es ein wichtiger Auftrag unseres Hauses, dieser Literatur einen Ort zu bieten. Und dieses Haus sieht auch an der Literatur des Exils, dass Literatur international ist und bleibt. Zudem haben wir durch die Verlagsarchive, die hier im Haus sind, sehr viel südamerikanische und amerikanische Literatur im Bestand; bald wird es auch mehr Literatur aus anderen Bereichen sein, aus Afrika, Russland, China. Die Literatur im deutschsprachigen Raum bildet sich erst im Austausch mit der Internationalen aus.
Die englische Sprache hat den großen Vorteil, dass sie besser digitalisierbar ist als die deutsche Sprache, zumindest sind die KIs da weiter. Die Sprachdienste sind englisch mit wesentlich mehr Diensten verbunden als deutsch. Die Übersetzungsfunktionen werden zwar Stück für Stück besser, aber da ist das Deutsche nicht wirklich so wie das Englische erschlossen. Wie gehen Sie da mit der Digitalisierbarkeit der deutschen Sprache um?
Das ist ein großes Problem, was Sie da ansprechen, weil die KIs tatsächlich besser englisch »sprechen« als deutsch, und es zum Beispiel in der Forschung die Tendenz gibt: »Ja, lasst uns doch gleich mit englischsprachigem Material arbeiten!« Das ist natürlich fatal für uns. Wenn wir die KI-Welt ernst nehmen und damit umgehen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass auch möglichst viele deutschsprachige Texte digital vorhanden sind, dass man mit ihnen arbeiten kann. KI sollte deshalb auch mit deutschsprachiger Literatur trainiert werden. Wir tun das in noch ersten Schritten in Zusammenarbeit mit Experten aus den einschlägigen Universitäten, von der Universität Stuttgart etwa, wo es einen großen Bereich von Kollegen in den Digital Humanities gibt. Auch mit anderen, mit dem Institut für Wissensmedien in Tübingen, in einem gemeinsamen Projekt über das Schreiben mit KI, also: Wie kann man Texte schreiben mit KI? Wir lassen die deutschsprachigen Texte übersetzen, rückübersetzen notfalls, um mit KI tatsächlich auch in Deutsch arbeiten zu können. Das ist sehr wichtig, glaube ich, damit sich Sprache auch weiterentwickeln kann. Wir versuchen, diesen letzteren Weg zu gehen und dieses kreative Potenzial zu entdecken und zu entfalten …