Das Interview, Hanix 74: Föderalismus – Haben wir die Wahl?
Interview: Hanix
Foto: Nico Kurth
Der deutsche Föderalismus steht während der Corona-Krise unter besonderer Kritik. Anlass sind vor allem die in den Ländern und Kommunen jeweils unterschiedlich geltenden »Corona-Regeln«.
Bereits Anfang der Pandemie haben sich vor allem Vertreter der Wirtschaft (so auch Hanix Nr. 67, S. 60-65) und Unternehmer irritiert über die Unübersichtlichkeit der Regularien geäußert. In der Politik holte der Unionfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) zu einem kritischen Rundumschlag gegen den deutschen »Flickenteppich« aus und bezeichnete den föderalen Aufbau über seine fünf administrativen Ebenen als wenig effizient und nicht mehr zeitgemäß. Wir haben dann eine ziemliche Krise in der Frage erlebt, wer eigentlich über die Corona-Einschränkungen im Lande bestimme: Der Bund oder die – recht uneinigen – Länder? Schließlich konnten wir die Verabschiedung des sogenannten »Notbremsengesetzes« gewärtigen, die »Änderung des Infektionsschutzgesetzes«. Unter dem Titel »Ist unser Föderalismus noch zeitgemäß?« hat Uwe Dietsche im Magazin für politische Kultur, Cicero, die Bedeutung jenes Gesetzes in Hinsicht auf seine Auswirkungen auf den Föderalismus diskutiert. Sein Fazit ist, dass das »Notbremsengesetz« nicht unbedingt als »Abrissbirne des Parlamentarismus« zu bezeichnen sei. Es bleibe aber die Grundsatzfrage, »wie Föderalismus und Bürokratie eigentlich für den digitalisierten Globalkapitalismus fit gemacht werden können«. Unterstützend für Änderungen verweist Dietsche in seinem Beitrag wiederholt darauf, dass der Föderalismus des Landes »von seinen Schöpfern [1949] nur als Behelfslösung gedacht« sei.
Auch in Heilbronn wird der Föderalismus als Herausforderung erlebt, besonders in der Bildungspolitik. Hier wird vor allem moniert, dass der Bildungsstandard der verschiedenen Bundesländer weniger für die Reichhaltigkeit der Bildungskonzepte und -inhalte stehe, sondern eher die verschiedenen parteipolitischen Perspektiven präsentiere. Zudem sei es kontraproduktiv, dass es in den Bundesländern solch gravierende Qualitätsunterschiede gebe, dass es weder für die Studierenden noch für die Lehrenden einfach sei, den Standort zu wechseln. Neben diesem Themenfeld stellt sich Heilbronn den Fragen einer globalisierten Digitalisierung, die großen Unternehmen leiden unter den verschiedenen, internationalen Lieferproblemen, die zu beheben das Land oder die Kommune insofern überfordert sind, als diese Fragen nur teilweise in ihren Aufgabenbereichen liegen.
Diese komplexe Gemengelage und die immer lauter werdenden Äußerungen zum Ungenügen der föderalen Struktur in unserem Land haben Hanix bewogen, Susanne Bay, für die Grünen Präsidiumsmitglied des Landtages von Baden-Württemberg, und Dr. Uwe Dietsche, Referent im Bildungs- und Wissenschaftsministerium, Schwerin, zu einem Gespräch einzuladen.
Hanix: Frau Bay, Sie sind Mitglied des Landtags. Welche Vorteile sehen Sie in der föderalen Struktur? Oder sind Sie auch der Meinung, dass der Föderalismus als »Behelfslösung« einer Revision bedarf?
Susanne Bay: Ich habe mit großem Interesse den Beitrag von Herrn Doktor Dietsche gelesen. Allerdings ist in unserem Grundgesetz noch etwas anderes hinterlegt, nämlich die sogenannte »Ewigkeitsklausel«. Ich finde, der Respekt vor der furchtbaren Zeit, die wir durchlebt haben, gebietet uns, dass wir da nicht grundsätzlich die Axt anlegen. Ich finde, hier muss man wirklich anerkennen, dass da eine Nation aus ihrer Geschichte gelernt hat, und das wirklich für lange, wenn nicht sogar ewig, so gestaltet haben möchte. Notwendige Reformen schließt das nicht aus.
Uwe Dietsche: Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass der Föderalismus, den wir haben, eine Antwort auf die Zeit 1933 bis 1945 ist. Aber das Verrückte ist, dass der Nationalsozialismus selbst nicht aus einer zentralstaatlichen Gewalt hervorgegangen ist, sondern dass der Weimarer Republik auch das föderale Prinzip zugrunde lag. Das heißt, der Föderalismus ist eben nicht eine Generalversicherung gegen die Wiedererstarkung brauner Zeiten. Bei einer solchen Wiedererstarkung ist der Zentralismus oft nicht die Ursache, sondern ganz im Gegenteil: ein nicht-funktionierender Föderalismus …