Das Interview, Hanix 76: Im Zeichen des Glaubens

Interview: Dr. Bernhard Stumpfhaus
Foto: Nico Kurth

Das Interview, Hanix 76: Im Zeichen des Glaubens
Das Interview, Hanix 76: Im Zeichen des Glaubens

Längst schon vertrauen wir in unserem Alltagsglauben nicht mehr wirklich der christlichen Religion, geschweige denn den großen Kirchen. Das hat natürlich etwas mit den unsäglichen Zumutungen zu tun, die einzelne Vertreter beider Kirchen den ihr vertrauensvoll überantworteten Schutzbefohlenen angetan haben und natürlich hat es damit etwas zu tun, dass beide Kirchen nicht wirklich willens sind, das mit der nachhaltigen Strenge offenzulegen, aufzuschneiden und zu beseitigen, wie das sonst von Straftätern staatlich und Sündern kirchlich selbstverständlich verlangt wird.

Die Gnade Gottes ist zwar immer größer als die Schuld des Menschen – da gibt es ja bekannte Wettbewerbe darüber, was umfänglicher sei –, aber die Menschen, die solches ihren Schutzbefohlenen angetan haben, sollten sich der sühnenden Pein so lange unterwerfen, wie es dauert, die angerichteten Traumen erträglich auszuheilen. Allerdings ist dieser Appell aus der Bevölkerung auch wohlfeil – der erste Stein und so – und trifft nicht wirklich den Kern der Krise des Christentums, denn bei aller Schmerzlichkeit dieser Vorgänge werden sie doch bereits in den mittelalterlichen Zoten, den Beschreibungen der Hölle bei Dante, sogar an der apokalyptischen Portalplastik der Kathedralen bis hin zu Marquis de Sades »Justine« oder »Die 120 Tage von Sodom« ausführlich beschrieben. Die Gier des Bauches ist unendlich, wussten schon die alten Griechen. Wie gesagt, das ist gar nicht das eigentliche Grundproblem des Christentums in Europa.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts werden die Gemeinden immer kleiner, häufen sich in Wellen die Austritte aus den Kirchen. Warum ist das so, dass die Kirchen in der auf Schienen, Asphalt und jetzt Glasfasern sich bis zur Besinnungslosigkeit beschleunigenden industriellen Revolution schrumpfen, während das kosmische Uhrwerk als bloße Lärmbelästigung gleichgütig vor sich hin rattert? Dostojewski ist wohl einer der ersten, der sich dieser Frage in seinem Roman »Die Brüder Karamasow« annimmt. Hier gibt es »Eine Phantasie«, in welcher Christus als »größter aller Ketzer« dem Großinquisitor zum Verhör vorgeführt wird. Und hier wirft dieser jenem vor, dass der Gekreuzigte den Menschen nichts Greifbares, an das man glauben könne, Brot etwa, sichtbare Wunder oder Macht, hinterlassen habe, sondern die »Freiheit«. Damit aber sei der Mensch so überfordert, dass er sie mächtigen Institutionen gleich wieder zu Füßen gelegt habe. Seit dem verstummt die Frage nicht, was uns diese Freiheit, die Freiheit sich selbstverantwortlich frei zu gestalten und zu bestimmen, eigentlich soll. Jüngst wurde uns in der Debatte um Michel Houellebecqs Novelle »Unterwerfung« vor Augen geführt, dass die abendländische Vorstellung von Freiheit, die Selbstbestimmung, die damit einhergehende Verantwortung, nicht nur zu viel sei, sondern uns geradezu ausbrenne. Und da sei es eben kein Wunder, dass man Parteien und Kulturformen wähle, die einem sagten, wo’s langgeht. Da wisse man, wo der eigene Platz sei, was man zu tun habe und die Eigenverantwortung sei überschaubar. Auch der weltanschaulich eher unauffällige Lukas Bärfuss beschreibt in seinem Roman »Hagard« eine Krise der Freiheit, indem er schildert, wie wir uns allmählich, aus Bequemlichkeit den Maschinen anvertrauen: »Aber da wir das Vertrauen in die eigene Freiheit verloren hatten, das Wissen, worin unser Glück bestehen könnte, blieb man diesen Maschinen verbunden.« Es ist eine sich einschleichende Gewöhnung, gleichsam aus einer überforderten Mattigkeit heraus, die uns zu den fernher klingenden Phantasien Chopins in Freiheit eindämmern lässt. Und selbst Papst Franziskus hat kurz vor Heiligabend 2019 zugestanden, dass wir keine christliche Leitkultur mehr hätten. Der Glaube, vor allem in Europa, stelle keine selbstverständliche Voraussetzung des allgemeinen Lebens mehr dar. Interessant zu bemerken ist, dass Freiheit mit Glaube und Glaube mit Freiheit zumindest in unseren Breitengraden einherzugehen scheint. Und wo das eine sich ausdünnt, verschwindet auch das andere.

Grund genug also, sich ausführlich mit den Dekanen der beiden großen christlichen Kirchen in Heilbronn, mit dem evangelischen Dekan Christoph Baisch und dem katholischen Dekan Roland Rossnagel darüber zu unterhalten, was christlicher Glaube heutzutage noch sein mag und was er uns wohl noch bedeuten könnte.

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